1An des Balkones Gitter lehnte ich
2Und wartete, du mildes Licht, auf dich;
3Hoch über mir gleich trübem Eiskristalle
4Zerschmolzen schwamm des Firmamentes Halle;
5Grauschimmernd lag der See mit leisem Stöhnen,
6Zerfloßne Perlen, oder Wolkenthränen?
7Es rieselte, es dämmerte um mich;
8Du mildes Licht, ich wartete auf dich.
9Hoch stand ich, neben mir der Linden Kamm,
10Tief unter mir Gezweige, Ast und Stamm,
11Im Laube summte der Phalänen Reigen;
12Die Feuerfliege sah ich zieh’n und steigen,
13Und Blüten taumelten wie halb entschlafen;
14Mir war, als treibe hier ein Herz zum Hafen,
15Ein Herz, das übervoll von Glück und Leid
16Und Bildern seliger Vergangenheit.
17Die Schatten stiegen, drängten finster ein;
18Wo weilst du, weilst du denn mein milder Schein?
19Sie drangen ein wie sündige Gedanken,
20Des Firmamentes Woge schien zu schwanken;
21Verzitternd losch der Feuerfliege Funken,
22Längst die Phaläne war zum Grund gesunken;
23Nur Bergeshäupter stiegen hart empor,
24Ein düstrer Richterkreis im Düster vor.
25Es visperten die Wipfel mir am Fuß,
26Wie Warnungsflüstern oder Todesgruß;
27Ein Summen aus des Seees weitem Thale,
28Wie Volksgemurmel vor dem Tribunale;
29Mir war, als müsse etwas Rechnung geben
30Von todten Pfunden, von verträumtem Leben,
31Als stehe ein verkümmert Herz allein,
32Einsam mit seiner Schuld und seiner Pein.
33Da auf die Wasser sank ein Silberflor,
34Und langsam stieg die Mondesscheib’ empor,
35Der Alpen finstre Stirnen strich sie leise,
36Und aus den Richtern wurden sanfte Greise;
37Der Wellen Zucken ward ein lächelnd Winken,
38An jedem Blatte sah ich Tropfen blinken,
39Und jeder Tropfen schien ein Kämmerlein,
40Drin flimmerte der Heimathlampe Schein.
41O Mond, du bist mir wie ein später Freund,
42Der seine Jugend dem Verarmten eint,
43Um seine sterbenden Erinnerungen
44Mit zartem Lebenswiderschein geschlungen;
45Bist keine Sonne, die ernährt und blendet,
46In Feuerströmen lebt, im Blute endet,
47Bist, was dem kranken Sänger sein Gedicht,
48Ein fremdes, aber, o, ein mildes Licht.