Emanuel Geibel: Ostermorgen (1833)

1Die Lerche stieg am Ostermorgen
2Empor ins klarste Luftgebiet
3Und schmettert', hoch im Blau verborgen,
4Ein freudig Auferstehungslied,
5Und wie sie schmetterte, da klangen
6Es tausend Stimmen nach im Feld:
7Wach auf, das Alte ist vergangen,
8Wach auf, du froh verjüngte Welt!

9Wacht auf und rauscht durchs Tal, ihr Bronnen,
10Und lobt den Herrn mit frohem Schall!
11Wacht auf im Frühlingsglanz der Sonnen,
12Ihr grünen Halm' und Läuber all!
13Ihr Veilchen in den Waldesgründen,
14Ihr Primeln weiß, ihr Blüten rot,
15Ihr sollt es alle mit verkünden:
16Die Lieb' ist stärker als der Tod.

17Wacht auf, ihr trägen Menschenherzen,
18Die ihr im Winterschlafe säumt,
19In dumpfen Lüsten, dumpfen Schmerzen
20Ein gottentfremdet Dasein träumt.
21Die Kraft des Herrn weht durch die Lande
22Wie Jugendhauch, o laßt sie ein!
23Zerreißt wie Simson eure Bande,
24Und wie der Adler sollt ihr sein.

25Wacht auf, ihr Geister, deren Sehnen
26Gebrochen an den Gräbern steht,
27Ihr trüben Augen, die vor Tränen
28Ihr nicht des Frühlings Blüten seht,
29Ihr Grübler, die ihr fern verloren
30Traumwandelnd irrt auf wüster Bahn,
31Wacht auf! Die Welt ist neugeboren,
32Hier ist ein Wunder, nehmt es an!

33Ihr sollt euch all des Heiles freuen,
34Das über euch ergossen ward!
35Es ist ein inniges Erneuen
36Im Bild des Frühlings offenbart.
37Was dürr war, grünt im Wehn der Lüfte,
38Jung wird das Alte fern und nah,
39Der Odem Gottes sprengt die Grüfte –
40Wacht auf! der Ostertag ist da.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Emanuel Geibel (1815-1884)

* 10/17/1815 in Lübeck, † 04/06/1884 in Lübeck

männlich, geb. Geibel

deutscher Lyriker

(Aus: Wikidata.org)

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