Adelbert von Chamisso: Der rechte Barbier (1809)

1Und soll ich nach Philisterart
2Mir Kinn und Wange putzen,
3So will ich meinen langen Bart
4Den letzten Tag noch nutzen;
5Ja! ärgerlich, wie ich nun bin,
6Vor meinem Groll, vor meinem Kinn,
7Soll mancher noch erzittern.

8»holla! Herr Wirt, mein Pferd! macht fort!
9Ihm wird der Hafer frommen.
10Habt ihr Barbierer hier im Ort?
11Laßt gleich den rechten kommen.
12Waldaus, waldein, verfluchtes Land!
13Ich ritt die Kreuz und Quer und fand
14Doch nirgends noch den rechten.

15Tritt her, Bartputzer, aufgeschaut!
16Du sollst den Bart mir kratzen;
17Doch kitzlich sehr ist meine Haut,
18Ich biete hundert Batzen;
19Nur, machst du nicht die Sache gut,
20Und fließt ein einz'ges Tröpflein Blut, –
21Fährt dir mein Dolch ins Herze.«

22Das spitze, kalte Eisen sah
23Man auf dem Tische blitzen,
24Und dem verwünschten Ding gar nah
25Auf seinem Schemmel sitzen
26Den grimm'gen schwarzbehaarten Mann
27Im schwarzen, kurzen Wams, woran
28Noch schwärzre Troddeln hingen.

29Dem Meister wird's zu grausig fast,
30Er will die Messer wetzen,
31Er sieht den Dolch, er sieht den Gast,
32Es packt ihn das Entsetzen;
33Er zittert wie das Espenlaub,
34Er macht sich plötzlich aus dem Staub
35Und sendet den Gesellen.

36»ein Hundert Batzen mein Gebot,
37Falls du die Kunst besitzest;
38Doch, merk es dir, dich stech ich tot,
39So du die Haut mir ritzest.«
40Und der Gesell: »Den Teufel auch!
41Das ist des Landes nicht der Brauch.«
42Er läuft und schickt den Jungen.

43»bist du der rechte, kleiner Molch?
44Frisch auf! fang an zu schaben;
45Hier ist das Geld, hier ist der Dolch,
46Das beides ist zu haben;
47Und schneidest, ritzest du mich bloß,
48So geb ich dir den Gnadenstoß;
49Du wärest nicht der erste.«

50Der Junge denkt der Batzen, druckst
51Nicht lang und ruft verwegen;
52»nur still gesessen! nicht gemuckst!
53Gott geb Euch seinen Segen!«
54Er seift ihn ein ganz unverdutzt,
55Er wetzt, er stutzt, er kratzt, er putzt:
56»gottlob! nun seid Ihr fertig.«

57»nimm, kleiner Knirps, dein Geld nur hin;
58Du bist ein wahrer Teufel!
59Kein andrer mochte den Gewinn,
60Du hegtest keinen Zweifel,
61Es kam das Zittern dich nicht an,
62Und wenn ein Tröpflein Blutes rann,
63So stach ich doch dich nieder.«

64»ei! guter Herr, so stand es nicht,
65Ich hielt Euch an der Kehle,
66Verzucktet Ihr nur das Gesicht
67Und ging der Schnitt mir fehle,
68So ließ ich Euch dazu nicht Zeit,
69Entschlossen war ich und bereit
70Die Kehl Euch abzuschneiden.« –

71»so so! ein ganz verwünschter Spaß!«
72Dem Herrn ward's unbehäglich,
73Er wurd auf einmal leichenblaß
74Und zitterte nachträglich:
75»so so! das hatt ich nicht bedacht,
76Doch hat es Gott noch gut gemacht;
77Ich will's mir aber merken.«

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Adelbert von Chamisso (1781-1838)

* 01/30/1781 in Châlons-en-Champagne, † 08/21/1838 in Berlin

männlich, geb. Chamisso

- Bronchialkarzinom

deutscher Naturforscher und Dichter (1781–1838)

(Aus: Wikidata.org)

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