1Das war der Seelen wunderliches Bergwerk.
2Wie stille Silbererze gingen sie
3als Adern durch sein Dunkel. Zwischen Wurzeln
4entsprang das Blut, das fortgeht zu den Menschen,
5und schwer wie Porphyr sah es aus im Dunkel.
6Sonst war nichts Rotes.
7Felsen waren da
8und wesenlose Wälder. Brücken über Leeres
9und jener große graue blinde Teich,
10der über seinem fernen Grunde hing
11wie Regenhimmel über einer Landschaft.
12Und zwischen Wiesen, sanft und voller Langmut,
13erschien des einen Weges blasser Streifen,
14wie eine lange Bleiche hingelegt.
15Und dieses einen Weges kamen sie.
16Voran der schlanke Mann im blauen Mantel,
17der stumm und ungeduldig vor sich aussah.
18Ohne zu kauen fraß sein Schritt den Weg
19in großen Bissen; seine Hände hingen
20schwer und verschlossen aus dem Fall der Falten
21und wußten nicht mehr von der leichten Leier,
22die in die Linke eingewachsen war
23wie Rosenranken in den Ast des Ölbaums.
24Und seine Sinne waren wie entzweit:
25indes der Blick ihm wie ein Hund vorauslief,
26umkehrte, kam und immer wieder weit
27und wartend an der nächsten Wendung stand, –
28blieb sein Gehör wie ein Geruch zurück.
29Manchmal erschien es ihm als reichte es
30bis an das Gehen jener beiden andern,
31die folgen sollten diesen ganzen Aufstieg.
32Dann wieder wars nur seines Steigens Nachklang
33und seines Mantels Wind was hinter ihm war.
34Er aber sagte sich, sie kämen doch;
35sagte es laut und hörte sich verhallen.
36Sie kämen doch, nur wärens zwei
37die furchtbar leise gingen. Dürfte er
38sich einmal wenden (wäre das Zurückschaun
39nicht die Zersetzung dieses ganzen Werkes,
40das erst vollbracht wird), müßte er sie sehen,
41die beiden Leisen, die ihm schweigend nachgehn:
42Den Gott des Ganges und der weiten Botschaft,
43die Reisehaube über hellen Augen,
44den schlanken Stab hertragend vor dem Leibe
45und flügelschlagend an den Fußgelenken;
46und seiner linken Hand gegeben:
47Die So-geliebte, daß aus einer Leier
48mehr Klage kam als je aus Klagefrauen;
49daß eine Welt aus Klage ward, in der
50alles noch einmal da war: Wald und Tal
51und Weg und Ortschaft, Feld und Fluß und Tier;
52und daß um diese Klage-Welt, ganz so
53wie um die andre Erde, eine Sonne
54und ein gestirnter stiller Himmel ging,
55ein Klage-Himmel mit entstellten Sternen – :
56Diese So-geliebte.
57Sie aber ging an jenes Gottes Hand,
58den Schritt beschränkt von langen Leichenbändern,
59unsicher, sanft und ohne Ungeduld.
60Sie war in sich, wie Eine hoher Hoffnung,
61und dachte nicht des Mannes, der voranging,
62und nicht des Weges, der ins Leben aufstieg.
63Sie war in sich. Und ihr Gestorbensein
64erfüllte sie wie Fülle.
65Wie eine Frucht von Süßigkeit und Dunkel,
66so war sie voll von ihrem großen Tode,
67der also neu war, daß sie nichts begriff.
68Sie war in einem neuen Mädchentum
69und unberührbar; ihr Geschlecht war zu
70wie eine junge Blume gegen Abend,
71und ihre Hände waren der Vermählung
72so sehr entwöhnt, daß selbst des leichten Gottes
73unendlich leise, leitende Berührung
74sie kränkte wie zu sehr Vertraulichkeit.
75Sie war schon nicht mehr diese blonde Frau,
76die in des Dichters Liedern manchmal anklang,
77nicht mehr des breiten Bettes Duft und Eiland
78und jenes Mannes Eigentum nicht mehr.
79Sie war schon aufgelöst wie langes Haar
80und hingegeben wie gefallner Regen
81und ausgeteilt wie hundertfacher Vorrat.
83Und als plötzlich jäh
84der Gott sie anhielt und mit Schmerz im Ausruf
85die Worte sprach: Er hat sich umgewendet –,
86begriff sie nichts und sagte leise:
87Fern aber, dunkel vor dem klaren Ausgang,
88stand irgend jemand, dessen Angesicht
89nicht zu erkennen war. Er stand und sah,
90wie auf dem Streifen eines Wiesenpfades
91mit trauervollem Blick der Gott der Botschaft
92sich schweigend wandte, der Gestalt zu folgen,
93die schon zurückging dieses selben Weges,
94den Schritt beschränkt von langen Leichenbändern,
95unsicher, sanft und ohne Ungeduld.