1Dem Geier gleich,
2Der auf schweren Morgenwolken
3Mit sanftem Fittich ruhend
4Nach Beute schaut,
5Schwebe mein Lied.
6Denn ein Gott hat
7Jedem seine Bahn
8Vorgezeichnet,
9Die der Glückliche
10Rasch zum freudigen
11Ziele rennt;
12Wem aber Unglück
13Das Herz zusammenzog,
14Er sträubt vergebens
15Sich gegen die Schranken
16Des ehernen Fadens,
17Den die doch bittre Schere
18Nur einmal löst.
19In Dickichtsschauer
20Drängt sich das rauhe Wild,
21Und mit den Sperlingen
22Haben längst die Reichen
23In ihre Sümpfe sich gesenkt.
24Leicht ist's, folgen dem Wagen,
25Den Fortuna führt,
26Wie der gemächliche Troß
27Auf gebesserten Wegen
28Hinter des Fürsten Einzug.
29Aber abseits wer ist's?
30Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad,
31Hinter ihm schlagen
32Die Sträuche zusammen,
33Das Gras steht wieder auf,
34Die Öde verschlingt ihn.
35Ach, wer heilet die Schmerzen
36Des, dem Balsam zu Gift ward?
37Der sich Menschenhaß
38Aus der Fülle der Liebe trank?
39Erst verachtet, nun ein Verächter,
40Zehrt er heimlich auf
41Seinen eignen Wert
42In ungnügender Selbstsucht.
43Ist auf deinem Psalter,
44Vater der Liebe, ein Ton
45Seinem Ohre vernehmlich,
46So erquicke sein Herz!
47Öffne den umwölkten Blick
48Über die tausend Quellen
49Neben dem Durstenden
50In der Wüste!
51Der du der Freuden viel schaffst,
52Jedem ein überfließend Maß,
53Segne die Brüder der Jagd
54Auf der Fährte des Wilds
55Mit jugendlichem Übermut
56Fröhlicher Mordsucht,
57Späte Rächer des Unbills,
58Dem schon Jahre vergeblich
59Wehrt mit Knütteln der Bauer.
60Aber den Einsamen hüll
61In deine Goldwolken!
62Umgib mit Wintergrün,
63Bis die Rose wieder heranreift,
64Die feuchten Haare,
65O Liebe, deines Dichters!
66Mit der dämmernden Fackel
67Leuchtest du ihm
68Durch die Furten bei Nacht,
69Über grundlose Wege
70Auf öden Gefilden;
71Mit dem tausendfarbigen Morgen
72Lachst du ins Herz ihm;
73Mit dem beizenden Sturm
74Trägst du ihn hoch empor;
75Winterströme stürzen vom Felsen
76In seine Psalmen,
77Und Altar des lieblichsten Danks
78Wird ihm des gefürchteten Gipfels
79Schneebehangner Scheitel,
80Den mit Geisterreihen
81Kränzten ahnende Völker.
82Du stehst mit unerforschtem Busen
83Geheimnisvoll offenbar
84Über der erstaunten Welt
85Und schaust aus Wolken
86Auf ihre Reiche und Herrlichkeit,
87Die du aus den Adern deiner Brüder
88Neben dir wässerst.