1Vorlängst sah ich ein wundersames Bild gemalt,
2Im Kloster der Kartäuser, das ich oft besucht.
3Heut, da ich im Gebirge droben einsam ging,
4Umstarrt von wild zerstreuter Felsentrümmersaat,
5Trat es mit frischen Farben vor die Seele mir.
6An jäher Steinkluft, deren dünn begraster Saum,
7Von zweien Palmen überschattet, magre Kost
8Den Ziegen beut, den steilauf weidenden am Hang,
9Sieht man den Knaben Jesus sitzend auf Gestein;
10Ein weißes Vlies als Polster ist ihm unterlegt.
11Nicht allzu kindlich deuchte mir das schöne Kind;
12Der heiße Sommer, sicherlich sein fünfter schon,
13Hat seine Glieder, welche bis zum Knie herab
14Das gelbe Röckchen decket mit dem Purpursaum,
15Hat die gesunden, zarten Wangen sanft gebräunt;
16Aus schwarzen Augen leuchtet stille Feuerkraft,
17Den Mund jedoch umfremdet unnennbarer Reiz.
18Ein alter Hirte, freundlich zu dem Kind gebeugt,
19Gab ihm soeben ein versteinert Meergewächs,
20Seltsam gestaltet, in die Hand zum Zeitvertreib.
21Der Knabe hat das Wunderding beschaut, und jetzt,
22Gleichsam betroffen, spannet sich der weite Blick,
23Entgegen dir, doch wirklich ohne Gegenstand,
24Durchdringend ewge Zeitenfernen, grenzenlos:
25Als wittre durch die überwölkte Stirn ein Blitz
26Der Gottheit, ein Erinnern, das im gleichen Nu
27Erloschen sein wird; und das welterschaffende,
28Das Wort von Anfang, als ein spielend Erdenkind
29Mit Lächeln zeigt's unwissend dir sein eigen Werk.