Theodor Fontane: Silvesternacht (1847)

1Das Dorf ist still, still ist die Nacht,
2Die Mutter schläft, die Tochter wacht,
3Sie deckt den Tisch, sie deckt für zwei,
4Und sehnt die Mitternacht herbei.

5Wem gilt die Unruh? wem die Hast?
6Wer ist der mitternächt'ge Gast?
7Ob ihr sie fragt, sie kennt ihn nicht,
8Sie weiß nur, was die Sage spricht.

9Die spricht: Wenn wo ein Mädchen wacht
10Um zwölf in der Silvesternacht,
11Und wenn sie deckt den Tisch für
12Gewahrt sie, wer ihr Künft'ger sei.

13Und hätt' ihn nie gesehn die Maid,
14Und wär' er hundert Meilen weit,
15Er tritt herein und schickt sich an,
16Und ißt und trinkt, und scheidet dann. –

17Zwölf schlägt die Uhr, sie horcht erschreckt,
18Sie wollt', ihr Tisch wär' ungedeckt,
19Es überfällt sie Angst und Graun,
20Sie will den Bräutigam nicht schaun.

21Fort setzt der Zeiger seinen Lauf,
22Niemand tritt ein, sie atmet auf,
23Sie starrt nicht länger auf die Tür –
24Herr Gott, da sitzt er neben ihr.

25Sein Aug' ist glüh, blaß sein Gesicht,
26Sie sah ihn all' ihr Lebtag nicht,
27Er blitzt sie an und schenket ein
28Und spricht: »Heut Nacht noch bist du mein.

29Ich bin ein stürmischer Gesell',
30Ich wähle rasch und freie schnell,
31Ich bin der Bräut'gam, du die Braut,
32Und bin der Priester, der uns traut.«

33Er faßt sie um – ein einz'ger Schrei,
34Die Mutter hört's und kommt herbei;
35Zu spät, verschüttet liegt der Wein,
36Tot ist die Tochter und – allein.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Theodor Fontane (1819-1898)

* 12/30/1819 in Neuruppin, † 09/20/1898 in Berlin

männlich, geb. Fontane

deutscher Schriftsteller

(Aus: Wikidata.org)

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