Friedrich Hölderlin: Diotima (1826)

1Leuchtest Du wie vormals nieder,
2Goldner Tag! und sprossen mir
3Des Gesanges Blumen wieder
4Lebenathmend auf zu Dir?
5Wie so anders ist's geworden!
6Manches, was ich traurig mied,
7Stimmt in freundlichen Akkorden
8Nun in meiner Freude Lied,
9Und mit jedem Stundenschlage
10Werd' ich wunderbar gemahnt
11An der Kindheit stille Tage,
12Seit ich sie, die Eine, fand.

13Diotima! edles Leben!
14Schwester, heilig mir verwandt!
15Eh' ich Dir die Hand gegeben,
16Hab' ich ferne Dich gekannt.
17Damals schon, da ich in Träumen,
18Mir entlokt vom heitern Tag,
19Unter meines Gartens Bäumen,
20Ein zufriedner Knabe lag,
21Da in leiser Lust und Schöne
22Meiner Seele Mai begann:
23Säuselte, wie Zephyrstöne,
24Göttliche! Dein Hauch mich an.

25Ach! und da, wie eine Sage,
26Jeder frohe Gott mir schwand,
27Da ich vor des Himmels Tage
28Darbend, wie ein Blinder, stand,
29Da die Last der Zeit mich beugte,
30Und mein Leben, kalt und bleich,
31Sehnend schon hinab sich neigte
32In der Todten stummes Reich:
33Wünscht' ich öfters noch, dem blinden
34Wanderer, dies Eine mir,
35Meines Herzens Bild zu finden
36Bei den Schatten oder hier.

(Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Friedrich Hölderlin (1770-1843)

* 03/20/1770 in Lauffen am Neckar, † 06/07/1843 in Tübingen

männlich, geb. Q114498136

deutscher Lyriker (1770-1843)

(Aus: Wikidata.org)

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