Gustav Schwab: Der Spuk auf dem Bodensee (1821)

1Einst sang ich von dem Reiter, der über Eis und Schnee
2Hinflog in vollem Trabe wohl durch den Bodensee,
3Und drüben angekommen, erst von der Kunde krank,
4Auf gutem, festen Boden vom Pferde sterbend sank.

5Nun höret neue Wunder: der See ist wieder zu,
6Auf uferloser Fläche wohnt stumme Grabesruh',
7Wie Schafe gehn zur Weide die Nebel wollicht, bleich,
8Es liegt der Mond in Stralen, gemähtem Grase gleich.

9Sonst pfiff der Wind im Segel, der Vogel sang im Blau,
10Die Hechte sandten plätschernd empor der Woge Thau;
11Jetzt hat die bange Wüste, die starre, keinen Mund,
12Der Vogel fiel erfroren, die Welle schläft im Grund. –

13Was jagt in schnellem Sturme die Nebelwolken auf?
14Was auf des Eises Estrich ertönt wie Rosses Lauf?
15Was fliegt mit Peitschenknalle heran? der Duft zerreißt:
16Ein Reiter eilt vorüber – ist es des Toten Geist?

17Und kaum ist er verschwunden, in Duft und Luft getaucht,
18Schon wieder blinkt's im Dunste, der mondbeschienen raucht;
19Es trabt, es rollt, es wiehert – ein Schlitten kommt heran,
20Vier schwarze Rosse rennen mit ihm auf glatter Bahn.

21In grünem Kleid ein Großer, sein Bart hat roten Schein,
22In schwarzem Rock ein Kleiner, schwarzaugig, bleich und fein,
23Ein dritter, dicht verhüllet, und eine zarte Frau,
24Doch Alles schnell verschwindet im Nebel breit und grau.

25Und auf dem Eismeer lagert sich Stille wie zuvor,
26In Osten thürmt sich riesig die Nebelwand empor;
27Kein Klang und keine Farbe, bis blaß der Morgen graut
28Und auf der toten Ebne nur Eis und Wolken schaut.

29»so leg' uns doch, o Sänger, das wüste Traumbild aus.
30Was für Gespenster bringst du in kalter Nächte Graus?
31Für welche Sünde wallen sie hier durch Schreckensnot, –
32Und wagen auf dem Eise, schon tot, den zweiten Tod?«

33Gespenster? ei, wer sagte, daß es Gespenster sind?
34Meint ihr, mit alten Mären erschreck' ich Weib und Kind?
35Was euch mein Lied berichtet, geschah in diesem Jahr,
36Am ersten, hellen Sonntag im strengen Februar.

37Die vier geschwinden Rappen sind keine Höllenbrut,
38Zu Immenstadt im Stalle dort stehn sie ausgeruht,
39Dort winkt der schmucke Schlitten, er liegt nicht in dem Grund,
40Und, friert der See nur wieder,

41Und die darüber fuhren im Mondschein kalt und hell,
42Sucht in der Schweiz die Kühnen, fragt an zu Bischofszell,
43Klopft an zu Eppishausen; wer kennt den Meister
44Der hat die Fahrt bestellet, der sandte mir Bericht.

45Sie leben Alle fröhlich, sie sind ein christlich Blut,
46Voran Herr Sepp, der gerne den Wandrern gütlich thut;
47Nur spricht man, daß er heimlich nach manchem Schatze gräbt,
48Und mit den alten Geistern in einem Bunde lebt.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Gustav Schwab (1792-1850)

* 06/19/1792 in Stuttgart, † 11/04/1850 in Stuttgart

männlich, geb. Schwab

deutscher Gymnasiallehrer, evangelischer Pastor, Schriftsteller und Herausgeber

(Aus: Wikidata.org)

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