1Es träumte mir von einer Sommernacht,
2Wo bleich, verwittert, in des Mondes Glanze
3Bauwerke lagen, Reste alter Pracht,
4Ruinen aus der Zeit der Renaissance.
5Nur hie und da, mit dorisch ernstem Knauf,
6Hebt aus dem Schutt sich einzeln eine Säule,
7Und schaut ins hohe Firmament hinauf,
8Als ob sie spotte seiner Donnerkeile.
9Gebrochen auf dem Boden liegen rings Portale,
10Giebeldächer mit Skulpturen,
11Wo Mensch und Tier vermischt, Zentaur und Sphinx,
12Satyr, Chimäre – Fabelzeitfiguren.
13Auch manches Frauenbild von Stein liegt hier,
14Unkrautumwuchert in dem hohen Grase;
15Die Zeit, die schlimmste Syphilis, hat ihr
16Geraubt ein Stück der edlen Nymphennase.
17Es steht ein offner Marmorsarkophag
18Ganz unverstümmelt unter den Ruinen,
19Und gleichfalls unversehrt im Sarge lag
20Ein toter Mann mit leidend sanften Mienen.
21Karyatiden mit gerecktem Hals,
22Sie scheinen mühsam ihn emporzuhalten.
23An beiden Seiten sieht man ebenfalls
24Viel basrelief gemeißelte Gestalten.
25Hier sieht man des Olympos Herrlichkeit
26Mit seinen lüderlichen Heidengöttern,
27Adam und Eva stehn dabei, sind beid'
28Versehn mit keuschem Schurz von Feigenblättern
29Hier sieht man Trojas Untergang und Brand,
30Paris und Helena, auch Hektor sah man;
31Moses und Aaron gleich daneben stand,
32Auch Esther, Judith, Holofern und Haman.
33Desgleichen war zu sehn der Gott Amur,
34Phöbus Apoll, Vulkanus und Frau Venus,
35Pluto, Neptun, Diana und Merkur,
36Gott Bacchus und Priapus und Silenus.
37Daneben stand der Esel Balaams
38Der Esel war zum Sprechen gut getroffen –
39Dort sah man auch die Prüfung Abrahams
40Und Lot, der mit den Töchtern sich besoffen.
41Hier war zu schaun der Tanz Herodias',
42Das Haupt des Täufers trägt man auf der Schüssel,
43Die Hölle sah man hier und Satanas,
44Und Petrus mit dem großen Himmelsschlüssel.
45Abwechselnd wieder sah man hier skulpiert
46Des geilen Jovis Brunst und Freveltaten,
47Wie er als Schwan die Leda hat verführt,
48Die Danae als Regen von Dukaten.
49Hier war zu sehn Dianas Wilde Jagd,
50Ihr folgen hochgeschürzte Nymphen, Doggen,
51Hier sah man Herkules in Frauentracht,
52Die Spindel drehend, hält sein Arm den Rocken.
53Daneben ist der Sinai zu sehn,
54Am Berg steht Israel mit seinen Ochsen,
55Man schaut den Herrn als Kind im Tempel stehn
56Und disputieren mit den Orthodoxen.
57Die Gegensätze sind hier grell gepaart,
58Des Griechen Lustsinn und der Gottgedanke
59Judäas! Und in Arabeskenart
60Um beide schlingt der Efeu seine Ranke.
61Doch, wunderbar! Derweilen solcherlei
62Bildwerke träumend ich betrachtet habe,
63Wird plötzlich mir zu Sinn, ich selber sei
64Der tote Mann im schönen Marmorgrabe.
65Zu Häupten aber meiner Ruhestätt'
66Stand eine Blume, rätselhaft gestaltet,
67Die Blätter schwefelgelb und violett,
68Doch wilder Liebreiz in der Blume waltet.
69Das Volk nennt sie die Blume der Passion
70Und sagt, sie sei dem Schädelberg entsprossen,
71Als man gekreuzigt hat den Gottessohn,
72Und dort sein welterlösend Blut geflossen.
73Blutzeugnis, heißt es, gebe diese Blum',
74Und alle Marterinstrumente, welche
75Dem Henker dienten bei dem Märtyrtum,
76Sie trüge sie abkonterfeit im Kelche.
77Ja, alle Requisiten der Passion
78Sähe man hier, die ganze Folterkammer,
79Zum Beispiel: Geißel, Stricke, Dornenkron',
80Das Kreuz, den Kelch, die Nägel und den Hammer.
81Solch eine Blum' an meinem Grabe stand,
82Und über meinen Leichnam niederbeugend,
83Wie Frauentrauer, küßt sie mir die Hand,
84Küßt Stirne mir und Augen, trostlos schweigend.
85Doch, Zauberei des Traumes! Seltsamlich,
86Die Blum' der Passion, die schwefelgelbe,
87Verwandelt in ein Frauenbildnis sich,
88Und das ist sie – die Liebste, ja, dieselbe!
89Du warst die Blume, du geliebtes Kind,
90An deinen Küssen mußt ich dich erkennen.
91So zärtlich keine Blumenlippen sind,
92So feurig keine Blumentränen brennen!
93Geschlossen war mein Aug', doch angeblickt
94Hat meine Seel'beständig dein Gesichte,
95Du sahst mich an, beseligt und verzückt,
96Und geisterhaft beglänzt vom Mondenlichte!
97Wir sprachen nicht, jedoch mein Herz vernahm,
98Was du verschwiegen dachtest im Gemüte –
99Das ausgesprochne Wort ist ohne Scham,
100Das Schweigen ist der Liebe keusche Blüte.
101Und wie beredsam dieses Schweigen ist!
102Man sagt sich alles ohne Metaphoren,
103Ganz ohne Feigenblatt, ganz ohne List
104Des Silbenfalls, des Wohllauts der Rhetoren.
105Lautloses Zwiegespräch! man glaubt es kaum,
106Wie bei dem stummen, zärtlichen Geplauder
107So schnell die Zeit verstreicht im schönen Traum
108Der Sommernacht, gewebt aus Lust und Schauder.
109Was wir gesprochen, frag es niemals, ach!
110Den Glühwurm frag, was er dem Grase glimmert,
111Die Welle frage, was sie rauscht im Bach,
112Den Westwind frage, was er weht und wimmert.
113Frag, was er strahlet, den Karfunkelstein,
114Frag, was sie duften, Nachtviol' und Rosen –
115Doch frage nie, wovon im Mondenschein
116Die Marterblume und ihr Toter kosen!
117Ich weiß es nicht, wie lange ich genoß
118In meiner schlummerkühlen Marmortruhe
119Den schönen Freudentraum. Ach, es zerfloß
120Die Wonne meiner ungestörten Ruhe!
121O Tod! mit deiner Grabesstille, du,
122Nur du kannst uns die beste Wollust geben;
123Den Krampf der Leidenschaft, Lust ohne Ruh',
124Gibt uns für Glück das albern rohe Leben!
125Doch wehe mir! es schwand die Seligkeit,
126Als draußen plötzlich sich ein Lärm erhoben;
127Es war ein scheltend, stampfend wüster Streit,
128Ach, meine Blum' verscheuchte dieses Toben!
129Ja, draußen sich erhob mit wildem Grimm
130Ein Zanken, ein Gekeife, ein Gekläffe,
131Ich glaubte zu erkennen manche Stimm' –
132Es waren meines Grabmals Basreliefe.
133Spukt in dem Stein der alte Glaubenswahn?
134Und disputieren diese Marmorschemen?
135Der Schreckensruf des wilden Waldgotts Pan
136Wetteifernd wild mit Mosis Anathemen!
137Oh, dieser Streit wird enden nimmermehr,
138Stets wird die Wahrheit hadern mit dem Schönen,
139Stets wird geschieden sein der Menschheit Heer
140In zwei Partei'n: Barbaren und Hellenen.
141Das fluchte, schimpfte! gar kein Ende nahm's
142Mit dieser Kontroverse, der langweil'gen,
143Da war zumal der Esel Balaams,
144Der überschrie die Götter und die Heil'gen!
145Mit diesem I-A, I-A, dem Gewieh'r,
146Dem schluchzend ekelhaften Mißlaut, brachte
147Mich zur Verzweiflung schier das dumme Tier,
148Ich selbst zuletzt schrie auf – und ich erwachte.