Heinrich Heine: Waldeinsamkeit (1826)

1Ich hab in meinen Jugendtagen
2Wohl auf dem Haupt einen Kranz getragen;
3Die Blumen glänzten wunderbar,
4Ein Zauber in dem Kranze war.

5Der schöne Kranz gefiel wohl allen,
6Doch der ihn trug, hat manchem mißfallen;
7Ich floh den gelben Menschenneid,
8Ich floh in die grüne Waldeinsamkeit.

9Im Wald, im Wald! da konnt ich führen
10Ein freies Leben mit Geistern und Tieren;
11Feen und Hochwild von stolzem Geweih,
12Sie nahten sich mir ganz ohne Scheu.

13Sie nahten sich mir ganz ohne Zagnis,
14Sie wußten, das sei kein schreckliches Wagnis;
15Daß ich kein Jäger, wußte das Reh,
16Daß ich kein Vernunftmensch, wußte die Fee.

17Von Feenbegünstigung plaudern nur Toren –
18Doch wie die übrigen Honoratioren
19Des Waldes mir huldreich gewesen, fürwahr,
20Ich darf es bekennen offenbar.

21Wie haben mich lieblich die Elfen umflattert!
22Ein luftiges Völkchen! das plaudert und schnattert!
23Ein bißchen stechend ist der Blick,
24Verheißend ein süßes, doch tödliches Glück.

25Ergötzten mich mit Maitanz und Maispiel,
26Erzählten mir Hofgeschichten zum Beispiel:
27Die skandalose Chronika
28Der Königin Titania.

29Saß ich am Bache, so tauchten und sprangen
30Hervor aus der Flut, mit ihrem langen
31Silberschleier und flatterndem Haar,
32Die Wasserbacchanten, die Nixenschar.

33Sie schlugen die Zither, sie spielten auf Geigen,
34Das war der famose Nixenreigen;
35Die Posituren, die Melodei,
36War klingende, springende Raserei.

37Jedoch zuzeiten waren sie minder
38Tobsüchtig gelaunt, die schönen Kinder;
39Zu meinen Füßen lagerten sie,
40Das Köpfchen gestützt auf meinem Knie.

41Tällerten, trillerten welsche Romanzen,
42Zum Beispiel das Lied von den drei Pomeranzen,
43Sangen auch wohl ein Lobgedicht
44Auf mich und mein nobeles Menschengesicht.

45Sie unterbrachen manchmal das Gesinge
46Lautlachend, und frugen bedenkliche Dinge,
47Zum Beispiel: »Sag uns, zu welchem Behuf
48Der liebe Gott den Menschen schuf?

49Hat eine unsterbliche Seele ein jeder
50Von euch? Ist diese Seele von Leder
51Oder von steifer Leinwand? Warum
52Sind eure Leute meistens so dumm?«

53Was ich zur Antwort gab, verhehle
54Ich hier, doch meine unsterbliche Seele,
55Glaubt mir's, ward nie davon verletzt,
56Was eine kleine Nixe geschwätzt.

57Anmutig und schalkhaft sind Nixen und Elfen;
58Nicht so die Erdgeister, sie dienen und helfen
59Treuherzig den Menschen. Ich liebte zumeist
60Die, welche man Wichtelmännchen heißt.

61Sie tragen Rotmäntelchen, lang und bauschig,
62Die Miene ist ehrlich, doch bang und lauschig;
63Ich ließ nicht merken, daß ich entdeckt,
64Warum sie so ängstlich die Füße versteckt.

65Sie haben nämlich Entenfüße
66Und bilden sich ein, daß niemand es wisse.
67Das ist eine tiefgeheime Wund',
68Worüber ich nimmermehr spötteln kunnt.

69Ach Himmel! wir alle, gleich jenen Zwergen,
70Wir haben ja alle etwas zu verbergen;
71Kein Christenmensch, wähnen wir, hätte entdeckt,
72Wo unser Entenfüßchen steckt.

73Niemals verkehrt ich mit Salamandern,
74Und über ihr Treiben erfuhr ich von andern
75Waldgeistern sehr wenig. Sie huschten mir scheu
76Des Nachts wie leuchtende Schatten vorbei.

77Sind spindeldürre, von Kindeslänge,
78Höschen und Wämschen anliegend enge,
79Von Scharlachfarbe, goldgestickt;
80Das Antlitz kränklich, vergilbt und bedrückt.

81Ein güldnes Krönlein, gespickt mit Rubinen,
82Trägt auf dem Köpfchen ein jeder von ihnen;
83Ein jeder von ihnen bildet sich ein,
84Ein absoluter König zu sein.

85Daß sie im Feuer nicht verbrennen,
86Ist freilich ein Kunststück, ich will es bekennen;
87Jedoch der unentzündbare Wicht,
88Ein wahrer Feuergeist ist er nicht.

89Die klügsten Waldgeister sind die Alräunchen,
90Langbärtige Männlein mit kurzen Beinchen,
91Ein fingerlanges Greisengeschlecht;
92Woher sie stammen, man weiß es nicht recht.

93Wenn sie im Mondschein kopfüber purzeln,
94Das mahnt bedenklich an Pissewurzeln;
95Doch da sie mir nur Gutes getan,
96So geht mich nichts ihr Ursprung an.

97Sie lehrten mir kleine Hexereien,
98Feuer besprechen, Vögel beschreien,
99Auch pflücken in der Johannisnacht
100Das Kräutlein, das unsichtbar macht.

101Sie lehrten mich Sterne und Zeichen deuten,
102Sattellos auf dem Winde reiten,
103Auch Runensprüche, womit man ruft
104Die Toten hervor aus ihrer Gruft.

105Sie haben mir auch den Pfiff gelehrt,
106Wie man den Vogel Specht betört
107Und ihm die Springwurz abgewinnt,
108Die anzeigt, wo Schätze verborgen sind.

109Die Worte, die man beim Schätzegraben
110Hinmurmelt, lehrten sie mich, sie haben
111Mir alles expliziert – umsunst!
112Hab nie begriffen die Schatzgräberkunst.

113Wohl hatt ich derselben nicht nötig dermalen,
114Ich brauchte wenig, und konnt es bezahlen,
115Besaß auch in Spanien manch luftiges Schloß,
116Wovon ich die Revenuen genoß.

117Oh, schöne Zeit! wo voller Geigen
118Der Himmel hing, wo Elfenreigen
119Und Nixentanz und Koboldscherz
120Umgaukelt mein märchentrunkenes Herz!

121Oh, schöne Zeit! wo sich zu grünen
122Triumphespforten zu wölben schienen
123Die Bäume des Waldes – ich ging einher,
124Bekränzt, als ob ich der Sieger wär!

125Die schöne Zeit, sie ist verschlendert,
126Und alles hat sich seitdem verändert,
127Und ach! mir ist der Kranz geraubt,
128Den ich getragen auf meinem Haupt.

129Der Kranz ist mir vom Haupt genommen,
130Ich weiß es nicht, wie es gekommen;
131Doch seit der schöne Kranz mir fehlt,
132Ist meine Seele wie entseelt.

133Es glotzen mich an unheimlich blöde
134Die Larven der Welt! Der Himmel ist öde,
135Ein blauer Kirchhof, entgöttert und stumm.
136Ich gehe gebückt im Wald herum.

137Im Walde sind die Elfen verschwunden,
138Jagdhörner hör ich, Gekläffe von Hunden;
139Im Dickicht ist das Reh versteckt,
140Das tränend seine Wunden leckt.

141Wo sind die Alräunchen? Ich glaube, sie halten
142Sich ängstlich verborgen in Felsenspalten.
143Ihr kleinen Freunde, ich komme zurück,
144Doch ohne Kranz und ohne Glück.

145Wo ist die Fee mit dem langen Goldhaar,
146Die erste Schönheit, die mir hold war?
147Der Eichenbaum, worin sie gehaust,
148Steht traurig entlaubt, vom Winde zerzaust.

149Der Bach rauscht trostlos gleich dem Styxe;
150Am einsamen Ufer sitzt eine Nixe,
151Todblaß und stumm, wie 'n Bild von Stein,
152Scheint tief in Kummer versunken zu sein.

153Mitleidig tret ich zu ihr heran –
154Da fährt sie auf und schaut mich an,
155Und sie entflieht mit entsetzten Mienen,
156Als sei ihr ein Gespenst erschienen.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Heinrich Heine (1797-1856)

* 12/13/1797 in Düsseldorf, † 02/17/1856 in Paris

männlich, geb. Heine

- Bleivergiftung

deutscher Dichter und Publizist

(Aus: Wikidata.org)

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