Friedrich Hebbel: Die Deutsche Sprache (1838)

1Schön erscheint sie mir nicht, die Deutsche Sprache, doch schön ist
2Auch die französische nicht, nur die italische klingt.
3Aber ich finde sie reich, wie irgend eine der Völker,
4Finde den köstlichsten Schatz treffender Wörter gehäuft,
5Finde unendliche Freiheit, sie so und anders zu stellen,
6Bis der Gedanke die Form, bis er die Färbung erlangt
7Bis er sich leicht verwebt mit fremden Gedanken, und dennoch
8Das Gepräge des Ichs, dem er entsprang, nicht verliert.
9Denn der Genius, welcher im Ganzen und Großen hier waltet,
10Fesselt den schaffenden Geist nicht durch ein strenges Gesetz,
11Ueberläßt ihn sich selbst, vergönnt ihm die frei'ste Bewegung
12Und bewahrt sich dadurch ewig lebendigen Reiz.
13Hütet euch nur, ihr Dichter, in dieser edlen Verläugnung
14Ihn zu kränken, zerbrecht nicht mit dem Joche das Maaß,
15Glaubt nicht, zu gewinnen, wenn kindisch zerstochen, die Dämme
16Bersten und reißen; es führt wieder nach Babel zurück,
17Oder wer setzte Barbaren im Ungebund'nen die Gränze?
18Paßt doch am Ende: er haßt! für das gewohnte: er liebt!
19Viel sind der Sprachen auf Erden, schon dieses sollte uns lehren,
20Daß kein inneres Band Dinge und Zeichen verknüpft;
21Darf sich aber darum ein Jeder die eigene bilden?
22Besser wäre der Mensch stumm, wie die Fische im Meer!
23Seien die Stempel uns heilig, die alle Jahrhunderte brauchten,
24Sie es die Weise sogar, die sie bedächtigt gewählt;
25Fand ein Goethe doch Raum in diesen gemessenen Schranken,
26Wären sie plötzlich zu eng für die Heroen von heut'?
27Gleichen wir der Natur, die nie das Wunder der Schöpfung
28Wiederholt und doch jährlich im Lenz sich erneut:
29Alt sind die Formen, es kehren die Lilien wieder und Rosen,
30Frisch ist der Duft, und im Kranz thut sich der Meister hervor!

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Friedrich Hebbel (1813-1863)

* 03/18/1813 in Wesselburen, † 12/13/1863 in Wien

männlich, geb. Hebbel

deutscher Dramatiker und Lyriker

(Aus: Wikidata.org)

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