Gotthold Ephraim Lessing: Für wen ich singe (1755)

1Ich singe nicht für kleine Knaben,
2Die voller Stolz zur Schule gehn,
3Und den Ovid in Händen haben,
4Den ihre Lehrer nicht verstehn.

5Ich singe nicht für euch, ihr Richter,
6Die ihr voll spitz'ger Gründlichkeit
7Ein unerträglich Joch dem Dichter,
8Und euch die Muster selber seid.

9Ich singe nicht den kühnen Geistern,
10Die nur Homer und Milton reizt;
11Weil man den unerschöpften Meistern
12Die Lorbeern nur umsonst begeizt.

13Ich singe nicht, durch Stolz gedrungen,
14Für dich, mein deutsches Vaterland.
15Ich fürchte jene Lästerzungen,
16Die dich bis an den Pol verbannt.

17Ich singe nicht für fremde Reiche.
18Wie käm' mir solch ein Ehrgeiz ein?
19Das sind verwegne Autorstreiche.
20Ich mag nicht übersetzet sein.

21Ich singe nicht für fromme Schwestern,
22Die nie der Liebe Reiz gewinnt,
23Die, wenn wir munter singen, lästern,
24Daß wir nicht alle Schmolcken sind.

25Ich singe nur für euch, ihr Brüder,
26Die ihr den Wein erhebt, wie ich.
27Für euch, für euch sind meine Lieder.
28Singt ihr sie nach: o Glück für mich!

29Ich singe nur für meine Schöne,
30O muntre Phyllis, nur für dich.
31Für dich, für dich sind meine Töne.
32Stehn sie dir an, so küsse mich.

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781)

* 01/22/1729 in Kamenz, † 02/15/1781 in Braunschweig

männlich, geb. Lessing

deutscher Dichter der Aufklärung

(Aus: Wikidata.org)

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