1Der Wälder Zier die hohen Linden/
2Der Nymfen Lust- und Sommer-Hauß/
3Die sich so herrlich breiten aus
4Daß man kan kühlen Schatten finden/
5Wenn alles fast für Hitze schmacht/
6So webt der Blätter grüne Nacht
7Den Fürhang/ drein die Westen spielen/
8Daß man wirdsüss’ Erfrischung fühlen.
9Die sind den Göttern längst geweyhet
10Und wurden Tempeln beygesetzt/
11Das Opffer-Vieh da abgemetzt/
12Der Seher hat da propheceyet/
13Kurtz: man ließ gar des Weyrauchs-Flamm
14An dem bejahrtem Linden-Stamm/
15Biß an die blauen Wolcken steigen/
16Damit die Andacht zu bezeugen.
17Die Tichter wissen mehr zu sagen/
18Sie melden wie das schöne Weib
19Die Philyra/ nachdem ihr Leib
20Den Pferd-Mensch Chiron hat getragen/
21Verwandelt sey in diesen Baum/
22Weil ihrem Bitten statt und Raum
23Der grosse Jupiter gegeben/
24Sie solt’ in Zweigen künfftig leben.
25Als nun der Götzen-Dienst verschwunden/
26Hat doch der Linde Schätzbarkeit/
27Weil sie der Menschen Hertz erfreut/
28Noch immer hohes Lob gefunden:
29Sie ist der Fürsten Taffel-Hauß;
30Das Dorff legt sein Gericht da aus:
31Die Nymfen hägen umb sie Täntze
32Und flechten aus den Blättern Kräntze.
33Und wird ihr laubicht Gipfelblühen
34So steht sie gleichsam wie beschneyt;
35Es prangt ihr weiß und grünes Kleid/
36Und kan die Augen nach sich ziehen.
37Der Pomerantzen theures Oel/
38Und der Jesminen Geist und Seel/
39Mag uns nicht so viel Lieblich keiten
40Als diese Blüthe zubereiten.
41Ach aber/ wer sieht sonder Grauen/
42Wenn offt in unvermerckter Eil/
43Ein unverschämt und kühnes Beil
44Den Linden-Stamm hat umgehauen!
45Es führt der Vögel Melodey/
46Nichts als ein kläglich Angst-Geschrey/
47Die Fichte schwanckt/ die Eichen knallen
48Weil ihre Nachbarin gefallen.
49Gewiß vom bangen Jammer-Klagen/
50Erschallt Herrn
51Nun Hertz-
52Wird Schatz und Eydam ausgetragen.
53Der gleich den Linden hat gegrünt/
54Wie Blüthe nutzbarlich gedient/
55Muß auch wie die erblasten Linden
56Sein Grab so früh’ in Breßlau finden.
57Sein Lebens-Baum stund voller Früchte/
58Sein Wachsthum war nur GOtt geweyht/
59Witz/ Tugend/ Treu und Redlichkeit/
60Ein gleiches Hertz und gleich Gesichte;
61Ach seltnes Kleinod dieser Welt!
62Behielten stets bey ihm das Feld/
63So daß an
64Nichts als Auffrichtigkeit zufinden.
65Erwehn’ ich denn die reine Liebe
66Den Opffer-Tisch/ Vermählter Treu;
67So fürcht ich/ daß es dienlich sey/
68Zu ritzen auff die Seelen-Hiebe.
69Gekränckte Frau von Angst und Weh/
70Sie klagt nur daß das Band der Eh’/
71So ewig schien/ so bald zerrissen
72Und sie den besten Trost muß missen.
73Der Baum/ der Schatten ihr gegeben/
74Der sie als wie ein Schirm bedeckt/
75Der nichts als Anmuth ihr erweckt/
76Bey dem sie wünschte stets zu leben/
77Jhr Auffenthalt und Seelen-Ruh
78Schleust itzt die müden Augen zu/
79Verdorrt wie Zweige von den Linden/
80Fällt ab wie Blätter von den Winden.
81Auff unerforschte Weg und Weise/
82Geht über uns des Höchsten Schluß/
83Nechst hieß ihn vieler Freunde Gruß
84Willkommen von der fernen Reise;
85Jtzt wird er in den Ort begleit’t/
86Von dannen in die Zeitlichkeit
87Er kehret nimmermehr zurücke.
88O herber Fall! O Trauer-Blicke!
89Jedoch Herr
90Wenn es des Schöpffers Stimme schafft/
91Soll wieder neuen Safft und Krafft
92In seines Baumes Wurtzel finden;
93Sein Ehren-Lob und Name grünt/
94Das uns zum Trost und Beyspiel dient/
95Ja auch der Nach-Welt gibt zu lesen:
96Wer Tugend liebt/ kan nicht verwesen.