1Ewigklar und spiegelrein und eben
2Fließt das zephirleichte Leben
3Im Olymp den Seligen dahin.
4Monde wechseln und Geschlechter fliehen,
5Ihrer Götterjugend Rosen blühen
6Wandellos im ewigen Ruin.
7Zwischen Sinnenglück und Seelenfrieden
8Bleibt dem Menschen nur die bange Wahl;
9Auf der Stirn des hohen Uraniden
10Leuchtet ihr vermählter Strahl.
11Wollt ihr schon auf Erden Göttern gleichen,
12Frei sein in des Todes Reichen,
13Brechet nicht von seines Gartens Frucht.
14An dem Scheine mag der Blick sich weiden,
15Des Genusses wandelbare Freuden
16Rächet schleunig der Begierde Flucht.
17Selbst der Styx, der neunfach sie umwindet,
18Wehrt die Rückkehr Ceres' Tochter nicht,
19Nach dem Apfel greift sie, und es bindet
20Ewig sie des Orkus Pflicht.
21Nur der Körper eignet jenen Mächten,
22Die das dunkle Schicksal flechten,
23Aber frei von jeder Zeitgewalt,
24Die Gespielin seliger Naturen
25Wandelt oben in des Lichtes Fluren,
26Göttlich unter Göttern, die
27Wollt ihr hoch auf ihren Flügeln schweben,
28Werft die Angst des Irdischen von euch.
29Fliehet aus dem engen, dumpfen Leben
30In des Ideales Reich!
31Jugendlich, von allen Erdenmalen
32Frei, in der Vollendung Strahlen
33Schwebet hier der Menschheit Götterbild,
34Wie des Lebens schweigende Phantome
35Glänzend wandeln an dem stygschen Strome,
36Wie sie stand im himmlischen Gefild,
37Ehe noch zum traurgen Sarkophage
38Die Unsterbliche herunterstieg.
39Wenn im Leben noch des Kampfes Waage
40Schwankt, erscheinet hier der Sieg.
41Nicht vom Kampf die Glieder zu entstricken,
42Den Erschöpften zu erquicken,
43Wehet hier des Sieges duftger Kranz.
44Mächtig, selbst wenn eure Sehnen ruhten,
45Reißt das Leben euch in seine Fluten,
46Euch die Zeit in ihren Wirbeltanz.
47Aber sinkt des Mutes kühner Flügel
48Bei der Schranken peinlichem Gefühl,
49Dann erblicket von der Schönheit Hügel
50Freudig das erflogne Ziel.
51Wenn es gilt, zu herrschen und zu schirmen,
52Kämpfer gegen Kämpfer stürmen
53Auf des Glückes, auf des Ruhmes Bahn,
54Da mag Kühnheit sich an Kraft zerschlagen,
55Und mit krachendem Getös die Wagen
56Sich vermengen auf bestäubtem Plan.
57Mut allein kann hier den Dank erringen,
58Der am Ziel des Hippodromes winkt,
59Nur der Starke wird das Schicksal zwingen,
60Wenn der Schwächling untersinkt.
61Aber der, von Klippen eingeschlossen,
62Wild und schäumend sich ergossen,
63Sanft und eben rinnt des Lebens Fluß
64Durch der Schönheit stille Schattenlande,
65Und auf seiner Wellen Silberrande
66Malt Aurora sich und Hesperus.
67Aufgelöst in zarter Wechselliebe,
68In der Anmut freiem Bund vereint,
69Ruhen hier die ausgesöhnten Triebe,
70Und verschwunden ist der Feind.
71Wenn, das Tote bildend zu beseelen,
72Mit dem Stoff sich zu vermählen,
73Tatenvoll der Genius entbrennt,
74Da, da spanne sich des Fleißes Nerve,
75Und beharrlich ringend unterwerfe
76Der Gedanke sich das Element.
77Nur dem Ernst, den keine Mühe bleichet,
78Rauscht der Wahrheit tief versteckter Born,
79Nur des Meißels schwerem Schlag erweichet
80Sich des Marmors sprödes Korn.
81Aber dringt bis in der Schönheit Sphäre,
82Und im Staube bleibt die Schwere
83Mit dem Stoff, den sie beherrscht, zurück.
84Nicht der Masse qualvoll abgerungen,
85Schlank und leicht, wie aus dem Nichts gesprungen,
86Steht das Bild vor dem entzückten Blick.
87Alle Zweifel, alle Kämpfe schweigen
88In des Sieges hoher Sicherheit,
89Ausgestoßen hat es jeden Zeugen
90Menschlicher Bedürftigkeit.
91Wenn ihr in der Menschheit traurger Blöße
92Steht vor des Gesetzes Größe,
93Wenn dem Heiligen die Schuld sich naht,
94Da erblasse vor der Wahrheit Strahle
95Eure Tugend, vor dem Ideale
96Fliehe mutlos die beschämte Tat.
97Kein Erschaffner hat dies Ziel erflogen,
98Über diesen grauenvollen Schlund
99Trägt kein Nachen, keiner Brücke Bogen,
100Und kein Anker findet Grund.
101Aber flüchtet aus der Sinne Schranken
102In die Freiheit der Gedanken,
103Und die Furchterscheinung ist entflohn,
104Und der ewge Abgrund wird sich füllen;
105Nehmt die Gottheit auf in euren Willen,
106Und sie steigt von ihrem Weltenthron.
107Des Gesetzes strenge Fessel bindet
108Nur den Sklavensinn, der es verschmäht,
109Mit des Menschen Widerstand verschwindet
110Auch des Gottes Majestät.
111Wenn der Menschheit Leiden euch umfangen,
112Wenn Laokoon der Schlangen
113Sich erwehrt mit namenlosem Schmerz,
114Da empöre sich der Mensch! Es schlage
115An des Himmels Wölbung seine Klage
116Und zerreiße euer fühlend Herz!
117Der Natur furchtbare Stimme siege,
118Und der Freude Wange werde bleich,
119Und der heilgen Sympathie erliege
120Das Unsterbliche in euch!
121Aber in den heitern Regionen,
122Wo die reinen Formen wohnen,
123Rauscht des Jammers trüber Sturm nicht mehr.
124Hier darf Schmerz die Seele nicht durchschneiden,
125Keine Träne fließt hier mehr dem Leiden,
126Nur des Geistes tapfrer Gegenwehr.
127Lieblich, wie der Iris Farbenfeuer
128Auf der Donnerwolke duftgem Tau,
129Schimmert durch der Wehmut düstern Schleier
130Hier der Ruhe heitres Blau.
131Tief erniedrigt zu des Feigen Knechte,
132Ging in ewigem Gefechte
133Einst Alcid des Lebens schwere Bahn,
134Rang mit Hydern und umarmt' den Leuen,
135Stürzte sich, die Freunde zu befreien,
136Lebend in des Totenschiffers Kahn.
137Alle Plagen, alle Erdenlasten
138Wälzt der unversöhnten Göttin List
139Auf die willgen Schultern des Verhaßten,
140Bis sein Lauf geendigt ist –
141Bis der Gott, des Irdischen entkleidet,
142Flammend sich vom Menschen scheidet
143Und des Äthers leichte Lüfte trinkt.
144Froh des neuen, ungewohnten Schwebens,
145Fließt er aufwärts, und des Erdenlebens
146Schweres Traumbild sinkt und sinkt und sinkt.
147Des Olympus Harmonien empfangen
148Den Verklärten in Kronions Saal,
149Und die Göttin mit den Rosenwangen
150»reicht ihm lächelnd den Pokal.«