1Wie schön, o Mensch, mit deinem Palmenzweige
2Stehst du an des Jahrhunderts Neige,
3In edler stolzer Männlichkeit,
4Mit aufgeschloßnem Sinn, mit Geistesfülle,
5Voll milden Ernsts, in tatenreicher Stille,
6Der reifste Sohn der Zeit,
7Frei durch Vernunft, stark durch Gesetze,
8Durch Sanftmut groß, und reich durch Schätze,
9Die lange Zeit dein Busen dir verschwieg,
10Herr der Natur, die deine Fesseln liebet,
11Die deine Kraft in tausend Kämpfen übet
12Und prangend unter dir aus der Verwildrung stieg!
13Berauscht von dem errungnen Sieg,
14Verlerne nicht, die Hand zu preisen,
15Die an des Lebens ödem Strand
16Den weinenden verlaßnen Waisen,
17Des wilden Zufalls Beute, fand,
18Die frühe schon der künftgen Geisterwürde
19Dein junges Herz im stillen zugekehrt,
20Und die befleckende Begierde
21Von deinem zarten Busen abgewehrt,
22Die Gütige, die deine Jugend
23In hohen Pflichten spielend unterwies,
24Und das Geheimnis der erhabnen Tugend
25In leichten Rätseln dich erraten ließ,
26Die, reifer nur ihn wieder zu empfangen,
27In fremde Arme ihren Liebling gab,
28O falle nicht mit ausgeartetem Verlangen
29Zu ihren niedern Dienerinnen ab!
30Im Fleiß kann dich die Biene meistern,
31In der Geschicklichkeit ein Wurm dein Lehrer sein,
32Dein Wissen teilest du mit vorgezognen Geistern,
33Die
34Nur durch das Morgentor des Schönen
35Drangst du in der Erkenntnis Land.
36An höhern Glanz sich zu gewöhnen,
37Übt sich am Reize der Verstand.
38Was bei dem Saitenklang der Musen
39Mit süßem Beben dich durchdrang,
40Erzog die Kraft in deinem Busen,
41Die sich dereinst zum Weltgeist schwang.
42Was erst, nachdem Jahrtausende verflossen,
43Die alternde Vernunft erfand,
44Lag im Symbol des Schönen und des Großen
45Voraus geoffenbart dem kindischen Verstand.
46Ihr holdes Bild hieß uns die Tugend lieben,
47Ein zarter Sinn hat vor dem Laster sich gesträubt,
48Eh noch ein Solon das Gesetz geschrieben,
49Das matte Blüten langsam treibt.
50Eh vor des Denkers Geist der kühne
51Begriff des ewgen Raumes stand,
52Wer sah hinauf zur Sternenbühne,
53Der ihn nicht ahndend schon empfand?
54Die, eine Glorie von Orionen
55Ums Angesicht, in hehrer Majestät,
56Nur angeschaut von reineren Dämonen,
57Verzehrend über Sternen geht,
58Geflohn auf ihrem Sonnenthrone,
59Die furchtbar herrliche Urania,
60Mit abgelegter Feuerkrone
61Steht sie – als
62Der Anmut Gürtel umgewunden,
63Wird sie zum Kind, daß Kinder sie verstehn:
64Was wir als Schönheit hier empfunden,
65Wird einst als
66Als der Erschaffende von seinem Angesichte
67Den Menschen in die Sterblichkeit verwies
68Und eine späte Wiederkehr zum Lichte
69Auf schwerem Sinnenpfad ihn finden hieß,
70Als alle Himmlischen ihr Antlitz von ihm wandten,
71Schloß sie, die Menschliche, allein
72Mit dem verlassenen Verbannten
73Großmütig in die Sterblichkeit sich ein.
74Hier schwebt sie, mit gesenktem Fluge,
75Um ihren Liebling, nah am Sinnenland,
76Und malt mit lieblichem Betruge
77Elysium auf seine Kerkerwand.
78Als in den weichen Armen dieser Amme
79Die zarte Menschheit noch geruht,
80Da schürte heilge Mordsucht keine Flamme,
81Da rauchte kein unschuldig Blut.
82Das Herz, das sie an sanften Banden lenket,
83Verschmäht der Pflichten knechtisches Geleit;
84Ihr Lichtpfad, schöner nur geschlungen, senket
85Sich in die Sonnenbahn der Sittlichkeit.
86Die ihrem keuschen Dienste leben,
87Versucht kein niedrer Trieb, bleicht kein Geschick;
88Wie unter heilige Gewalt gegeben
89Empfangen sie das reine Geisterleben,
90Der Freiheit süßes Recht, zurück.
91Glückselige, die sie – aus Millionen
92Die reinsten – ihrem Dienst geweiht,
93In deren Brust sie würdigte zu thronen,
94Durch deren Mund die Mächtige gebeut,
95Die sie auf ewig flammenden Altären
96Erkor, das heilge Feuer ihr zu nähren,
97Vor deren Aug allein sie hüllenlos erscheint,
98Die sie in sanftem Bund um sich vereint!
99Freut euch der ehrenvollen Stufe,
100Worauf die hohe Ordnung euch gestellt:
101In die erhabne Geisterwelt
102Wart ihr der Menschheit erste Stufe.
103Eh ihr das Gleichmaß in die Welt gebracht,
104Dem alle Wesen freudig dienen –
105Ein unermeßner Bau, im schwarzen Flor der Nacht
106Nächst um ihn her mit mattem Strahle nur beschienen,
107Ein streitendes Gestaltenheer,
108Die seinen Sinn in Sklavenbanden hielten
109Und ungesellig, rauh wie er,
110Mit tausend Kräften auf ihn zielten,
111– So stand die Schöpfung vor dem Wilden.
112Durch der Begierde blinde Fessel nur
113An die Erscheinungen gebunden,
114Entfloh ihm, ungenossen, unempfunden,
115Die schöne Seele der Natur.
116Und wie sie fliehend jetzt vorüber fuhr,
117Ergriffet ihr die nachbarlichen Schatten
118Mit zartem Sinn, mit stiller Hand,
119Und lerntet in harmonschem Band
120Gesellig sie zusammengatten.
121Leichtschwebend fühlte sich der Blick
122Vom schlanken Wuchs der Zeder aufgezogen;
123Gefällig strahlte der Kristall der Wogen
124Die hüpfende Gestalt zurück.
125Wie konntet ihr des schönen Winks verfehlen,
126Womit euch die Natur hilfreich entgegen kam?
127Die Kunst, den Schatten ihr nachahmend abzustehlen,
128Wies euch das Bild, das auf der Woge schwamm.
129Von ihrem Wesen abgeschieden,
130Ihr eignes liebliches Phantom,
131Warf sie sich in den Silberstrom,
132Sich ihrem Räuber anzubieten.
133Die schöne Bildkraft ward in eurem Busen wach.
134Zu edel schon, nicht müßig zu empfangen,
135Schuft ihr im Sand – im Ton den holden Schatten nach,
136Im Umriß ward sein Dasein aufgefangen.
137Lebendig regte sich des Wirkens süße Lust –
138Die erste Schöpfung trat aus eurer Brust.
139Von der Betrachtung angehalten,
140Von eurem Späheraug umstrickt,
141Verrieten die vertraulichen Gestalten
142Den Talisman, wodurch sie euch entzückt.
143Die wunderwirkenden Gesetze,
144Des Reizes ausgeforschte Schätze
145Verknüpfte der erfindende Verstand
146In leichtem Bund in Werken eurer Hand.
147Der Obeliske stieg, die Pyramide,
148Die Herme stand, die Säule sprang empor,
149Des Waldes Melodie floß aus dem Haberrohr,
150Und Siegestaten lebten in dem Liede.
151Die Auswahl einer Blumenflur,
152Mit weiser Wahl in einen Strauß gebunden,
153So trat die erste Kunst aus der Natur;
154Jetzt wurden
155Und eine zweite höhre Kunst erstand
156Aus Schöpfungen der Menschenhand.
157Das Kind der Schönheit, sich allein genug,
158Vollendet schon aus eurer Hand gegangen,
159Verliert die Krone, die es trug,
160Sobald es Wirklichkeit empfangen.
161Die Säule muß, dem Gleichmaß untertan,
162An ihre Schwestern nachbarlich sich schließen,
163Der Held im Heldenheer zerfließen,
164Des Mäoniden Harfe stimmt voran.
165Bald drängten sich die staunenden Barbaren
166Zu diesen neuen Schöpfungen heran.
167Seht, riefen die erfreuten Scharen,
168Seht an, das hat der Mensch getan!
169In lustigen, geselligeren Paaren
170Riß sie des Sängers Leier nach,
171Der von Titanen sang und Riesenschlachten,
172Und Löwentötern, die, so lang der Sänger sprach,
173Aus seinen Hörern Helden machten.
174Zum erstenmal genießt der
175Erquickt von ruhigeren Freuden,
176Die aus der Ferne nur ihn weiden,
177Die seine Gier nicht in sein Wesen reißt,
178Die im Genusse nicht verscheiden.
179Jetzt wand sich von dem Sinnenschlafe
180Die freie schöne Seele los,
181Durch euch entfesselt, sprang der Sklave
182Der Sorge in der Freude Schoß.
183Jetzt fiel der Tierheit dumpfe Schranke,
184Und Menschheit trat auf die entwölkte Stirn,
185Und der erhabne Fremdling, der Gedanke
186Sprang aus dem staunenden Gehirn.
187Jetzt
188Das königliche Angesicht,
189Schon dankte in erhabnen Fernen
190Sein sprechend Aug dem Sonnenlicht.
191Das Lächeln blühte auf der Wange,
192Der Stimme seelenvolles Spiel
193Entfaltete sich zum Gesange,
194Im feuchten Auge schwamm Gefühl,
195Und Scherz mit Huld in anmutsvollem Bunde
196Entquollen dem beseelten Munde.
197Begraben in des Wurmes Triebe,
198Umschlungen von des Sinnes Lust,
199Erkanntet ihr in seiner Brust
200Den edlen Keim der Geisterliebe.
201Daß von des Sinnes niederm Triebe
202Der Liebe beßrer Keim sich schied,
203Dankt er dem ersten Hirtenlied.
204Geadelt zur Gedankenwürde,
205Floß die verschämtere Begierde
206Melodisch aus des Sängers Mund.
207Sanft glühten die betauten Wangen,
208Das überlebende Verlangen
209Verkündigte der Seelen Bund.
210Der Weisen Weisestes, der Milden Milde,
211Der Starken Kraft, der Edeln Grazie,
212Vermähltet ihr in
213Und stelltet es in eine Glorie.
214Der Mensch erbebte vor dem Unbekannten,
215Er liebte seinen Widerschein;
216Und herrliche Heroen brannten,
217Dem großen Wesen gleich zu sein.
218Den ersten Klang vom Urbild alles Schönen,
219Der Leidenschaften wilden Drang
220Des Glückes regellose Spiele,
221Der Pflichten und Instinkte Zwang
222Stellt ihr mit prüfendem Gefühle,
223Mit strengem Richtscheit nach dem Ziele.
224Was die Natur auf ihrem großen Gange
225In weiten Fernen auseinander zieht,
226Wird auf dem Schauplatz, im Gesange
227Der Ordnung leicht gefaßtes Glied.
228Vom Eumenidenchor geschrecket,
229Zieht sich der Mord, auch nie entdecket,
230Das Los des Todes aus dem Lied.
231Lang, eh die Weisen ihren Ausspruch wagen,
232Löst eine Ilias des Schicksals Rätselfragen
233Der jugendlichen Vorwelt auf;
234Still wandelte von Thespis' Wagen
235Die Vorsicht in den Weltenlauf.
236Doch in den großen Weltenlauf
237Ward euer Ebenmaß zu früh getragen.
238Als des Geschickes dunkle Hand,
239Was sie vor eurem Auge schnürte,
240Vor eurem Aug nicht auseinanderband,
241Das Leben in die Tiefe schwand,
242Eh es den schönen Kreis vollführte –
243Da führtet ihr aus kühner Eigenmacht
244Den Bogen weiter durch der Zukunft Nacht;
245Da stürztet ihr euch ohne Beben
246In des Avernus schwarzen Ozean
247Und trafet das entflohne Leben
248Jenseits der Urne wieder an:
249Da zeigte sich mit umgestürztem Lichte,
250An Kastor angelehnt, ein blühend Polluxbild:
251Der Schatten in des Mondes Angesichte,
252Eh sich der schöne Silberkreis erfüllt.
253Doch höher stets, zu immer höhern Höhen
254Schwang sich der schaffende Genie.
255Schon sieht man Schöpfungen aus Schöpfungen erstehen,
256Aus Harmonien Harmonie.
257Was hier allein das trunkne Aug entzückt,
258Dient unterwürfig dort der höhern Schöne;
259Der Reiz, der diese Nymphe schmückt,
260Schmilzt sanft in eine göttliche Athene:
261Die Kraft, die in des Ringers Muskel schwillt,
262Muß in des Gottes Schönheit lieblich schweigen;
263Das Staunen seiner Zeit, das stolze Jovisbild,
264Im Tempel zu Olympia sich neigen.
265Die Welt, verwandelt durch den Fleiß,
266Das Menschenherz, bewegt von neuen Trieben,
267Die sich in heißen Kämpfen üben,
268Erweitern euren Schöpfungskreis.
269Der fortgeschrittne Mensch trägt auf erhobnen Schwingen
270Dankbar die Kunst mit sich empor,
271Und neue Schönheitswelten springen
272Aus der bereicherten Natur hervor.
273Des Wissens Schranken gehen auf,
274Der Geist, in euren leichten Siegen
275Geübt, mit schnell gezeitigtem Vergnügen
276Ein künstlich All von Reizen zu durcheilen,
277Stellt der Natur entlegenere Säulen,
278Ereilet sie auf ihrem dunkeln Lauf.
279Jetzt wägt er sie mit menschlichen Gewichten,
280Mißt sie mit
281Verständlicher in seiner Schönheit Pflichten,
282Muß sie an seinem Aug vorüberziehn.
283In selbstgefällger jugendlicher Freude
284Leiht er den Sphären seine Harmonie,
285Und preiset er das Weltgebäude,
286So prangt es durch die Symmetrie.
287In allem, was ihn jetzt umlebet,
288Spricht ihn das holde Gleichmaß an.
289Der Schönheit goldner Gürtel webet
290Sich mild in seine Lebensbahn;
291Die selige Vollendung schwebet
292In euren Werken siegend ihm voran.
293Wohin die laute Freude eilet,
294Wohin der stille Kummer flieht,
295Wo die Betrachtung denkend weilet,
296Wo er des Elends Tränen sieht,
297Wo tausend Schrecken auf ihn zielen,
298Folgt ihm ein Harmonienbach,
299Sieht er die Huldgöttinnen spielen
300Und ringt in still verfeinerten Gefühlen
301Der lieblichen Begleitung nach.
302Sanft, wie des Reizes Linien sich winden,
303Wie die Erscheinungen um ihn
304In weichem Umriß ineinander schwinden,
305Flieht seines Lebens leichter Hauch dahin.
306Sein Geist zerrinnt im Harmonienmeere,
307Das seine Sinne wollustreich umfließt,
308Und der hinschmelzende Gedanke schließt
309Sich still an die allgegenwärtige Cythere.
310Mit dem Geschick in hoher Einigkeit,
311Gelassen hingestützt auf Grazien und Musen,
312Empfängt er das Geschoß, das ihn bedräut,
313Mit freundlich dargebotnem Busen
314Vom sanften Bogen der Notwendigkeit.
315Vertraute Lieblinge der selgen Harmonie,
316Erfreuende Begleiter durch das Leben,
317Das Edelste, das Teuerste, was sie,
318Die Leben gab, zum Leben uns gegeben!
319Daß der entjochte Mensch jetzt seine Pflichten denkt,
320Die Fessel liebet, die ihn lenkt,
321Kein Zufall mehr mit ehrnem Zepter ihm gebeut,
322Dies dankt euch – eure Ewigkeit,
323Und ein erhabner Lohn in eurem Herzen.
324Daß um den Kelch, worin uns Freiheit rinnt,
325Der Freude Götter lustig scherzen,
326Der holde Traum sich lieblich spinnt,
327Dafür seid liebevoll umfangen!
328Dem prangenden, dem heitern Geist,
329Der die Notwendigkeit mit Grazie umzogen,
330Der seinen Äther, seinen Sternenbogen
331Mit Anmut uns bedienen heißt,
332Der, wo er schreckt, noch durch Erhabenheit entzücket,
333Und zum Verheeren selbst sich schmücket,
334Wie auf dem spiegelhellen Bach
335Die bunten Ufer tanzend schweben,
336Das Abendrot, das Blütenfeld,
337So schimmert auf dem dürftgen Leben
338Der Dichtung muntre Schattenwelt.
339Ihr führet uns im Brautgewande
340Die fürchterliche Unbekannte,
341Die unerweichte Parze vor.
342Wie eure Urnen die Gebeine,
343Deckt ihr mit holdem Zauberscheine
344Der Sorgen schauervollen Chor.
345Jahrtausende hab ich durcheilet,
346Der Vorwelt unabsehlich Reich:
347Wie lacht die Menschheit, wo ihr weilet,
348Wie traurig liegt sie hinter euch!
349Die einst mit flüchtigem Gefieder
350Voll Kraft aus euren Schöpferhänden stieg,
351In eurem Arm fand sie sich wieder,
352Als durch der Zeiten stillen Sieg
353Des Lebens Blüte von der Wange,
354Die Stärke von den Gliedern wich
355Und traurig, mit entnervtem Gange,
356Der Greis an seinem Stabe schlich.
357Da reichtet ihr aus frischer Quelle
358Dem Lechzenden die Lebenswelle.
359Zweimal verjüngte sich die Zeit,
360Zweimal von Samen, die ihr ausgestreut.
361Vertrieben von Barbarenheeren,
362Entrisset ihr den letzten Opferbrand
363Des Orients entheiligten Altären
364Und brachtet ihn dem Abendland.
365Da stieg der schöne Flüchtling aus dem Osten,
366Der junge Tag, im Westen neu empor,
367Und auf Hesperiens Gefilden sproßten
368Verjüngte Blüten Joniens hervor.
369Die schönere Natur warf in die Seelen
370Sanft spiegelnd einen schönen Widerschein,
371Und prangend zog in die geschmückten Seelen
372Des Lichtes große Göttin ein.
373Da sah man Millionen Ketten fallen,
374Und über Sklaven sprach jetzt Menschenrecht,
375Wie Brüder friedlich miteinander wallen,
376So mild erwuchs das jüngere Geschlecht.
377Mit innrer hoher Freudenfülle
378Genießt ihr das gegebne Glück
379Und tretet in der Demut Hülle
380Mit schweigendem Verdienst zurück.
381Wenn auf des Denkens freigegebnen Bahnen
382Der Forscher jetzt mit kühnem Glücke schweift
383Und, trunken von siegrufenden Päanen,
384Mit rascher Hand schon nach der Krone greift;
385Wenn er mit niederm Söldnerslohne
386Den edeln Führer zu entlassen glaubt,
387Und neben dem geträumten Throne
388Der Kunst den ersten Sklavenplatz erlaubt:
389Verzeiht ihm – der Vollendung Krone
390Schwebt glänzend über eurem Haupt.
391Mit euch, des Frühlings erster Pflanze,
392Begann die seelenbildende Natur,
393Mit euch, dem freudgen Erntekranze,
394Schließt die vollendende Natur.
395Die von dem Ton, dem Stein bescheiden aufgestiegen,
396Die schöpferische Kunst, umschließt mit stillen Siegen
397Des Geistes unermeßnes Reich;
398Was in des Wissens Land Entdecker nur ersiegen,
399Entdecken sie, ersiegen sie für euch.
400Der Schätze, die der Denker aufgehäufet,
401Wird er in euren Armen erst sich freun,
402Wenn seine Wissenschaft, der Schönheit zugereifet,
403Zum Kunstwerk wird geadelt sein –
404Wenn er auf einen Hügel mit euch steiget,
405Und seinem Auge sich, in mildem Abendschein,
406Das malerische Tal – auf einmal zeiget.
407Je reicher ihr den schnellen Blick vergnüget,
408Je höhre, schönre Ordnungen der Geist
409In
410In
411Je weiter sich Gedanken und Gefühle
412Dem üppigeren Harmonienspiele,
413Dem reichern Strom der Schönheit aufgetan –
414Je schönre Glieder aus dem Weltenplan,
415Die jetzt verstümmelt seine Schöpfung schänden,
416Sieht er die hohen Formen dann vollenden,
417Je schönre Rätsel treten aus der Nacht,
418Je reicher wird die Welt, die
419Je breiter strömt das Meer, mit dem er fließet,
420Je schwächer wird des Schicksals blinde Macht,
421Je höher streben seine Triebe,
422Je kleiner wird er selbst, je größer seine Liebe.
423So führt ihn, in verborgnem Lauf,
424Durch immer reinre Formen, reinre Töne,
425Durch immer höhre Höhn und immer schönre Schöne
426Der Dichtung Blumenleiter still hinauf –
427Zuletzt, am reifen Ziel der Zeiten,
428Noch eine glückliche Begeisterung,
429Des jüngsten Menschenalters Dichterschwung,
430Und – in der
431Sie selbst, die sanfte Cypria,
432Umleuchtet von der Feuerkrone
433Steht dann vor ihrem mündgen Sohne
434Entschleiert – als Urania;
435So schneller nur von ihm erhaschet,
436Je
437So süß, so selig überraschet
438Stand einst Ulyssens edler Sohn,
439Da seiner Jugend himmlischer Gefährte
440Zu Jovis Tochter sich verklärte.
441Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben,
442Bewahret sie!
443Sie sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich heben!
444Der Dichtung heilige Magie
445Dient einem weisen Weltenplane,
446Still lenke sie zum Ozeane
447Der großen Harmonie!
448Von ihrer Zeit verstoßen, flüchte
449Die ernste Wahrheit zum Gedichte
450Und finde Schutz in der Kamönen Chor.
451In ihres Glanzes höchster Fülle,
452Furchtbarer in des Reizes Hülle,
453Erstehe sie in dem Gesange
454Und räche sich mit Siegesklange
455An des Verfolgers feigem Ohr.
456Der freisten Mutter freie Söhne,
457Schwingt euch mit festem Angesicht
458Zum Strahlensitz der höchsten Schöne,
459Um andre Kronen buhlet nicht.
460Die Schwester, die euch hier verschwunden,
461Holt ihr im Schoß der Mutter ein;
462Was schöne Seelen schön empfunden,
463Muß trefflich und vollkommen sein.
464Erhebet euch mit kühnem Flügel
465Hoch über euren Zeitenlauf;
466Fern dämmre schon in euerm Spiegel
467Das kommende Jahrhundert auf.
468Auf tausendfach verschlungnen Wegen
469Der reichen Mannigfaltigkeit
470Kommt dann umarmend euch entgegen
471Am Thron der hohen Einigkeit.
472Wie sich in sieben milden Strahlen
473Der weiße Schimmer lieblich bricht,
474Wie sieben Regenbogenstrahlen
475Zerrinnen in das weiße Licht:
476So spielt in tausendfacher Klarheit
477Bezaubernd um den trunknen Blick,
478So fließt in
479In