Friedrich Schiller: Auch ich war in Arkadien geboren Titel entspricht 1. Vers(1782)

1Auch ich war in Arkadien geboren,
2Auch mir hat die Natur
3An meiner Wiege Freude zugeschworen,
4Auch ich war in Arkadien geboren,
5Doch Tränen gab der kurze Lenz mir nur.

6Des Lebens Mai blüht einmal und nicht wieder,
7Mir hat er abgeblüht.
8Der stille Gott – o weinet, meine Brüder –
9Der stille Gott taucht meine Fackel nieder,
10Und die Erscheinung flieht.

11Da steh ich schon auf deiner Schauerbrücke,
12Ehrwürdge Geistermutter – Ewigkeit.
13Empfange meinen Vollmachtbrief zum Glücke,
14Ich bring ihn unerbrochen dir zurücke,
15Mein Lauf ist aus. Ich weiß von keiner Seligkeit.

16Vor deinem Thron erheb ich meine Klage,
17Verhüllte Richterin.
18Auf jenem Stern ging eine frohe Sage,
19Du thronest hier mit des Gerichtes Waage
20Und nennest dich Vergelterin.

21Hier – spricht man – warten Schrecken auf den Bösen,
22Und Freuden auf den Redlichen.
23Des Herzens Krümmen werdest du entblößen,
24Der Vorsicht Rätsel werdest du mir lösen
25Und Rechnung halten mit dem Leidenden.

26Hier öffne sich die Heimat dem Verbannten,
27Hier endige des Dulders Dornenbahn.
28Ein Götterkind, das sie mir
29Die meisten flohen, wenige nur kannten,
30Hielt meines Lebens raschen Zügel an.

31»ich zahle dir in einem andern Leben,
32Gib deine Jugend mir!
33Nichts kann ich dir als diese Weisung geben.«
34Ich nahm die Weisung auf das andre Leben,
35Und meiner Jugend Freuden gab ich ihr.

36»gib mir das Weib, so teuer deinem Herzen,
37Gib deine Laura mir.
38Jenseits der Gräber wuchern deine Schmerzen.« –
39Ich riß sie blutend aus dem wunden Herzen
40Und weinte laut und gab sie ihr.

41»du siehst die Zeit nach jenen Ufern fliegen,
42Die blühende Natur
43Bleibt hinter ihr – ein welker Leichnam – liegen.
44Wenn Erd und Himmel trümmernd auseinanderfliegen,
45Daran erkenne den erfüllten Schwur.«

46»die Schuldverschreibung lautet an die Toten«,
47Hohnlächelte die Welt,
48»die Lügnerin, gedungen von Despoten,
49Hat für die Wahrheit Schatten dir geboten,
50Du bist nicht mehr, wenn dieser Schein verfällt.«

51Frech witzelte das Schlangenheer der Spötter:
52»vor einem Wahn, den nur Verjährung weiht,
53Erzitterst du? Was sollen deine Götter,
54Des kranken Weltplans schlau erdachte Retter,
55Die Menschenwitz des Menschen Notdurft leiht?

56Ein Gaukelspiel, ohnmächtigen Gewürmen
57Vom Mächtigen gegönnt,
58Schreckfeuer, angesteckt auf hohen Türmen,
59Die Phantasie des Träumers zu bestürmen,
60Wo des Gesetzes Fackel dunkel brennt.

61Was heißt die Zukunft, die uns Gräber decken?
62Die Ewigkeit, mit der du eitel prangst?
63Ehrwürdig nur, weil schlaue Hüllen sie verstecken,
64Der Riesenschatten unsrer eignen Schrecken
65Im hohlen Spiegel der Gewissensangst;

66Ein Lügenbild lebendiger Gestalten,
67Die Mumie der Zeit,
68Vom Balsamgeist der Hoffnung in den kalten
69Behausungen des Grabes hingehalten,
70Das nennt dein Fieberwahn – Unsterblichkeit?

71Für Hoffnungen – Verwesung straft sie Lügen –
72Gabst du
73Sechstausend Jahre hat der Tod geschwiegen,
74Kam je ein Leichnam aus der Gruft gestiegen,
75Der Meldung tat von der Vergelterin?« –

76Ich sah die Zeit nach deinen Ufern fliegen,
77Die blühende Natur
78Blieb hinter ihr, ein welker Leichnam, liegen,
79Kein Toter kam aus seiner Gruft gestiegen,
80Und fest vertraut ich auf den Götterschwur.

81All meine Freuden hab ich dir geschlachtet,
82Jetzt werf ich mich vor deinen Richterthron.
83Der Menge Spott hab ich beherzt verachtet,
84Nur
85Vergelterin, ich fodre meinen Lohn.

86»mit gleicher Liebe lieb ich meine Kinder!«
87Rief unsichtbar ein Genius.
88»zwei Blumen«, rief er, »– hört es, Menschenkinder –
89Zwei Blumen blühen für den weisen Finder,
90Sie heißen

91Wer dieser Blumen
92Die andre Schwester nicht.
93Genieße, wer nicht glauben kann. Die Lehre
94Ist ewig wie die Welt. Wer glauben kann, entbehre.
95Die Weltgeschichte ist das Weltgericht.

96Du hast
97Dein
98Du konntest deine Weisen fragen,
99Was man von der Minute ausgeschlagen,
100Gibt keine Ewigkeit zurück.«

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Friedrich Schiller (1759-1805)

* 11/10/1759 in Marbach am Neckar, † 05/09/1805 in Weimar

männlich, geb. Schiller

natürliche Todesursache - Tuberkulose

deutscher Dichter, Philosoph und Historiker

(Aus: Wikidata.org)

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