1Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung,
2Die der Meßias auf Erden in seiner Menschheit vollendet,
3Und durch die er Adams Geschlechte die Liebe der Gottheit
4Mit dem Blute des heiligen Bundes von neuem geschenkt hat.
5Also geschah des Ewigen Wille. Vergebens erhub sich
6Satan wider den göttlichen Sohn; umsonst stand Judäa
7Wider ihn auf; er thats, und vollbrachte die große Versöhnung.
8Aber, o Werk, das nur Gott allgegenwärtig erkennet,
9Darf sich die Dichtkunst auch wohl aus dunkler Ferne dir nähern?
10Weihe sie, Geist Schöpfer, vor dem ich im stillen hier bete;
11Führe sie mir, als deine Nachahmerinn, voller Entzückung,
12Voll unsterblicher Kraft, in verklärter Schönheit, entgegen.
13Rüste sie mit jener tiefsinnigen einsamen Weisheit,
14Mit der du, forschender Geist, die Tiefen Gottes durchschauest;
15Also werd ich durch sie Licht und Offenbarungen sehen,
16Und die Erlösung des großen Meßias würdig besingen.
17Sterbliche, kennt ihr die Ehre, die euer Geschlecht verherrlicht,
18Da der Schöpfer der Welt, als Erlöser, auf Erden herab kam:
19So hört meinen Gesang, ihr besonders, ihr wenigen Edlen,
20Theure gesellige Freunde des liebenswürdigen Mittlers,
21Jhr mit der Zukunft des großen Gerichts vertrauliche Seelen,
22Hört mich, und singt den ewigen Sohn durch ein göttliches Leben.
23Nah an der heiligen Stadt, die sich itzt durch Blindheit entweihte,
24Und die Krone der hohen Erwählung unwissend hinwegwarf,
25Ehmals die Stadt der Herrlichkeit Gottes, der heiligen Väter
26Pflegerinn, nun ein Altar des Bluts von Mördern vergossen;
27Hier wars, wo der Meßias von einem Volke sich losriß,
28Das ihn zwar itzo verehrte, doch nicht mit jener Gemüthsart,
29Die vorm schauenden Angesicht Gottes untadelhaft bleibet.
30Jesus verbarg sich vor diesen Entweihten. Zwar lagen hier Palmen
31Des ihm begegnenden Volks; zwar klang dort ihr lautes Hosanna;
32Aber umsonst. Sie kannten den nicht, den sie König nennten,
33Und den Gesegneten Gottes zu sehn, war ihr Auge zu dunkel.
34Gott kam selber vom Himmel herab. Die gewaltige Stimme:
35Er ist verherrlichet, und soll von neuem verherrlichet werden!
36War die Verkündigerinn der gegenwärtigen Gottheit.
37Doch sie waren, Gott zu verstehn, zu niedrige Sünder.
38Unterdeß nahte sich Jesus dem Vater, der wegen des Volkes,
39Zu dem die Stimme geschah, voll Zorn zum Himmel hinaufstieg.
40Vor ihm wollt er noch einmal sein göttliches freyes Entschließen,
41Seine Geliebten, die Menschen, zu heiligen, feyerlich kund thun.
42Gegen die östliche Seite Jerusalems liegt ein Gebirge,
43Welches schon oft den göttlichen Mittler auf seinen Gipfeln,
44Wie ins Heilige Gottes, verhüllt, wenn er einsame Nächte
45Unter dem Anschaun des Vaters in großen Gebeten durchwachte.
46Nach dem Gebirge begab er sich itzt. Johannes alleine
47Folgt ihm bis zu den Gräbern der Seher, in heiligen Grotten,
48Wie sein göttlicher Freund, die Nacht im Gebete zu bleiben.
49Von da erhub sich der Mittler zur obersten Spitze des Berges.
50Da umgab ihn vom hohen Moria ein Schimmer der Opfer,
51Die den ewigen Vater noch itzt im Bilde versöhnten.
52Um und um nahm ihn der Oelbaum ins Kühle. Gelindere Lüfte,
53Gleich dem Säuseln der Gegenwart Gottes, umflossen sein Antlitz.
54Der dem Meßias auf Erden zum Dienste gegebene Seraph,
55Gabriel ist sein himmlischer Name, stand eben am Eingang
56Zwoer umdufteten Cedern, und dachte dem Heile der Menschen
57Und dem Triumphe der Ewigkeit nach, als itzt der Erlöser
58Seinem Vater entgegen vor ihm im stillen vorbeygieng.
59Gabriel wußte, daß nun die Zeit der Erlösung herankam.
60Diese Betrachtung entzückt ihn, er sprach mit zärtlicher Stimme:
61Willst du die Nacht, o Göttlicher, hier im Gebete durchwachen?
62Oder verlangt dein ermüdeter Leib nach seiner Erquickung?
63Soll ich zu deinem unsterblichen Haupt ein Lager bereiten?
64Sieh, es streckt schon der Sprößling der Ceder den grünenden Arm aus,
65Und die weiche balsamische Staude. Beym Grabe der Seher
66Wächst dort unten ruhiges Moos im kühlenden Erdreich.
67Soll ich hieraus, o Göttlicher, dir ein Lager bereiten?
68Wie ist dein Leib, o Erlöser, ermüdet! Wie vieles erträgst du
69Hier auf Erden aus brünstiger Liebe zum Menschengeschlechte!
70Also sagt er. Der Mittler belohnt ihn mit segnenden Blicken,
71Und stand voll Ernst auf der Höhe des Bergs am benachbarten Himmel.
72Gott war daselbst. Hier betet er. Unter ihm tönte die Erde,
73Und ein wandelndes Jauchzen durchdrang die Pforten der Tiefen,
74Als sie von ihm die gewaltige Stimme tief unten vernahmen.
75Denn es war nicht mehr die Stim̃e des Fluchs, die Stim̃e von Stürmen
76Furchtbar verkündiget, und in donnernden Wettern gesprochen,
77Die die Erde vernahm. Sie hörte des Segnenden Rede,
78Der mit unsterblicher Schöne sie einst zu verneuen beschlossen.
79Um und um lagen die Hügel in lieblicher Abenddämmrung,
80Gleich als wären sie schon neuerschaffen, und blühend, wie Eden.
81Jesus redte. Nur er und der Vater durchschauten den Inhalt,
82Unbegränzt: Dieß nur vermag die Stimme des Menschen zu sprechen:
83Göttlicher Vater, die Tage des Heils und des ewigen Bundes
84Nähern sich mir, die Tage, zu größern Werken erlesen,
85Als selbst die Schöpfung, die du durch deinen Sohn ehmals vollbrachtest.
86Sie verklären sich mir so schön und herrlich, als damals,
87Da wir die Reihe der Zeiten durchschauten, und sie in der Zukunft,
88Durch mein göttliches Anschaun vorzüglich bezeichnet, erblickten.
89Dir nur ist es bekannt, mit was für Einmuth wir damals,
90Du, mein Vater, und ich, und der Geist die Erlösung beschlossen.
91In der Stille der Ewigkeit, einsam, und ohne Geschöpfe,
92Waren wir beysammen. Voll unsrer göttlichen Liebe,
93Sahen wir auf Menschen, die noch nicht waren, herunter.
94Ach das arme Geschlecht! Ach unsre Geschöpfe, wie elend
95Waren sie, sonst unsterblich, nun Staub, von der Sünde verstellet!
96Vater, ich sah ihr Elend, du meine Thränen. Da sprachst du:
97Laßt uns das Bild der Gottheit von neuem im Menschen erschaffen!
98Also erfanden wir unser Geheimniß, das Blut der Versöhnung,
99Und die zum ewigen Bilde verneuerte Schöpfung der Menschen.
100Hier erkohr ich mich selbst, das göttliche Werk zu vollenden.
101Ewiger Vater, das weißst du, das wissen die Himmel, wie brünstig
102Mich seit diesem Entschluß nach meiner Erniedrung verlangte!
103Erde, wie oft warst du, in deiner niedrigen Ferne,
104Mein erwähltes geliebtestes Augenmerk! Und du, o Canan,
105Heiliges Land, wie oft hieng mein sanftthränendes Auge
106An dem Hügel, den ich vom Blute des Bundes schon voll sah.
107Und, o wie bebt mir mein Herz von süßen wallenden Freuden,
108Daß ich so lange schon Mensch bin, daß schon so viele Gerechte
109Zu mir sich sammlen, und nun bald alle Geschlechte der Menschen
110Durch mich geheiliget werden! Hier lieg ich, göttlicher Vater,
111Noch mit den Zügen der Menschheit, nach deinem Bilde, gezieret,
112Betend vor dir: bald aber wird mich dein tödtend Gerichte
113Blutig entstelien, und unter den Staub der Todten begraben.
114Schon hör ich dich, du Richter der Welt, allein und von ferne
115Kommen, und unerbittlich in deinen Himmeln dahergehn.
116Schon durchdringt mich ein Schauer, dem ganzen Geistergeschlechte
117Unempfindbar, und wenn du sie auch im grimmigen Zorne
118Tödtetest, unempfindbar! Schon seh ich den nächtlichen Garten
119Vor mir liegen, schon sink ich vor dir in niedrigen Staub hin,
120Lieg, und bet, und winde mich, Vater, im Todesschweiße.
121Siehe, da bin ich, mein Vater. Ich will dein grimmiges Zürnen,
122Deine Gerichte will ich mit tiefem Gehorsam ertragen.
123Du bist ewig! Kein endlicher Geist hat das Zürnen der Gottheit,
124Und den Unendlichen furchtbar und tödtend, gedacht und empfunden.
125Gott nur konnte die Gottheit ertragen. Hier bin ich, mein Vater,
126Tödte du mich, nimm mein ewiges Opfer zu deiner Versöhnung.
127Noch bin ich frey, noch kann ich dich bitten, so thut sich der Himmel,
128Mit Myriaden von Seraphim auf, und führet mich jauchzend,
129Vater, zu deinem unsterblichen Thron im Triumphe zurücke.
130Aber ich will leiden, was keine Seraphim fassen,
131Was kein denkender Cherub in tiefen Betrachtungen einsieht;
132Ich will leiden, den furchtbarsten Tod will ich, Ewiger, leiden!
133Weiter sagt er und sprach: Ich hebe gen Himmel mein Haupt auf,
134Meine Hand in die Wolken, und schwöre dir bey mir selber,
135Der ich Gott bin, wie du: Ich will die Menschen erlösen!
136Jesus sprachs, und stand auf; und in seinem Antlitz war Hoheit
137Und erbarmender Ernst, und Seelenruh, als er vor Gott stand.
138Und, unhörbar den Engeln, nur sich und dem Sohne vernommen,
139Sprach der ewige Vater, und wandte sein schauendes Antlitz
140Gegen den Meßias: Ich breite mein Haupt durch die Himmel,
141Meinen Arm durch die Unendlichkeit aus, und sag: Ich bin ewig!
142Sag, und schwöre dir, Sohn: ich will die Sünde vergeben!
143Also sprach er, und schwieg. Indem die Ewigen sprachen,
144Gieng durch die ganze Natur ein ehrfurchtvolles Erbeben.
145Seelen, die itzt wurden, die noch nicht zu denken begonnen,
146Zitterten, und empfanden zuerst. Ein gewaltiger Schauer
147Faßte den Seraph, ihm schlug sein Herz, und um ihn lag wartend,
148Wie vorm nahen Gewitter die Erde, sein furchtsamer Weltkreis.
149Nur in die Seelen zukünftiger Christen kam sanftes Entzücken,
150Und ein süßbetäubend Gefühl des ewigen Lebens.
151Aber sinnlos, und nur zur Verzweiflung allein noch empfindlich,
152Sinnlos, wider Gott was zu denken, entstürzten im Abgrund
153Jhren Thronen die höllischen Geister. Als jeder dahinsank,
154Stürzt auf jeden ein Fels, brach unter jedem die Tiefe
155Ungestüm ein, und donnernd erklang die unterste Hölle.
156Jesus stand noch vor Gott, und die Leiden seiner Erlösung
157Fiengen itzt an. Und Gabriel lag auf seinem Gesichte
158Fern und anbetend, von neuen Gedanken gewaltig erhoben.
159Seit den Jahrhunderten, die er durchlebt, (so lang als die Seele
160Sich die Unendlichkeit denkt, wenn sie sich in feurigem Fluge
161Wie aus dem Körper verliert,) seit diesen Jahrhunderten hatt er
162So erhabne Gedanken noch nie empfunden. Die Gottheit
163Jhre Versohnten, die ewige Liebe des göttlichen Mittlers
164Alles eröffnet sich ihm. Gott bildete diese Gedanken
165In dem Geiste des Seraphs. Gott selber dachte sich itzo,
166Als den Erbarmer erschaffener Wesen. Der Seraph erhub sich,
167Stand, und erstaunt, und betet, und unaussprechliche Freuden
168Zitterten durch sein Herz, und Licht und blendendes Glänzen
169Gieng von ihm aus. Die Erde zerfloß in himmlischem Schimmer
170Unter ihm, wie es ihm vorkam. Jhn sah der göttliche Mittler,
171Daß er den Gipfel des ganzen Gebirges mit Klarheit erfüllte.
172Gabriel, rief er, verhülle dich itzt, du dienst mir auf Erden.
173Mache dich auf, dieß Gebet vor meinen Vater zu bringen,
174Daß die edelsten unter den Menschen, die seligen Väter,
175Daß der versammelte Himmel der Zeiten Fülle vernehme,
176Nach der er sich so brünstig gesehnt. Hier kannst du mit Glanze,
177Als der Gesandte des hohen Meßias, vor Gott erscheinen.
178Schweigend, mit göttlich erheiterten Minen, erhub sich der Seraph.
179Jesus sah vom Oelberg ihm nach. Der Gottmensch erblickte
180Schon sein ganzes Betragen vorm Sitze der Herrlichkeit Gottes,
181Eh noch der eilende Seraph des Himmels Gränzen erreichte.
182Jtzo erhuben sich neue geheimnißvolle Gespräche
183Zwischen ihm und dem Vater, von hohem tiefsinnigen Inhalt,
184Selbst Unsterblichen dunkel, Gespräche von Dingen, die künftig
185Gottes Erlösung vor allen Erlösten verherrlichen werden.
186Unterdeß war der Seraph zur äußersten Gränze des Himmels
187Aufwärts gestiegen. Hier füllen nur Sonnen den heiligen Umkreis.
188Hell, gleich einem vom Lichte gewebten ätherischen Vorhang
189Zieht sich ihr Glanz um den Himmel herum. Kein dunkler Planete
190Naht sich des Himmels verderbendem Blick. Entfliehend und ferne
191Geht die bewölkte Natur vorüber: da fliehen die Erden
192Klein und unmerkbar dahin, wie unter dem Fuße des Wandrers
193Niedriger Staub, von Gewürmen bewohnt, aufwallet und hinsinkt.
194Um den Himmel herum sind tausend offene Wege,
195Lange, nicht auszusehende Wege, von Sonnen umgeben.
196Durch den glänzenden Weg, der gegen die Erde sich kehret,
197Floß, nach ihrer Erschaffung, vom himmlischen Urquell entspringend,
198Ein verklärter ätherischer Strom nach Eden herunter.
199Auf ihm, oder an seinem Gestade, von Wolken erhoben,
200Kam dazumal bald Engel, bald Gott, zum vertraulichen Umgang,
201Zu den Menschen. Doch schnell ward der Strom zurücke gerufen,
202Als sich durch Sünde der Mensch von Gottes Freundschaft entfernte.
203Denn die Unsterblichen wollten nicht mehr, in sichtbarer Schönheit,
204Gegenden sehn, die vor ihnen des Todes Verwüstung. entstellte.
205Damals wandten sie schauernd sich weg. Die stillen Gebirge,
206Wo noch die Spur des Ewigen war; die rauschenden Haine,
207Die das Säuseln der Gegenwart Gottes sonst sanft beseelte;
208Selige friedsame Thäler, vordem von der Jugend des Himmels
209Liebreich besucht; die schattichten Lauben, wo ehmals die Menschen,
210Ueberwallend von Freuden und süßen Empfindungen, weinten,
211Daß sie Gott ewig erschuf; die Erde lag unter dem Fluche,
212Jhren vordem unsterblichen Kindern ein allgemein Grabmal.
213Aber dereinst, wenn sich die Weltgebäude verjüngen,
214Und aus der Asche des großen Gerichts triumphirend hervorgehn,
215Wenn Gott alle Bezirke der Welten mit seinem Himmel
216Durch gleich allgegenwärtiges Anschaun zusammen vereinbart,
217Alsdann wird der ätherische Strom vom himmlischen Urquell
218Wieder mit hellerer Schöne zum neuen Eden sich senken.
219Nie wird dann sein Gestade von hohen Versammlungen leer seyn,
220Die auf Erden den Umgang der neuen Unsterblichen suchen.