N. N.: Die heilige Elisabeth. 1879. (1885)

1O du Nacht, der Seele finstere Nacht,
2Du endlos tiefe Schmerzensnacht,
3Hier lieg ich, blutig den Leib benetzt,
4Den die Geißel in rothe Wunden zerfetzt.

5O du Nacht, der Seele finstere Nacht,
6Wie flieh’ ich vor dir, qualvolle Nacht?
7Wo bliebst du, mein sonnenleuchtender Tag,
8Mit Rosenblüthen und Drosselschlag?

9Maria, du Königin — süßes Licht,
10Ich schaue und höre — ich finde dich nicht!
11Wie hab’ ich sonst deine Hände geküßt,
12Deine Lippen gestreift in sel’gem Gelüst.

13Wie hab’ ich die Welt inbrünstig gehegt,
14Wie die Sonne in Liebe die Blumen pflegt,
15Die Pest lag sterbend in meinem Schooß,
16Ich küßte die Kranken vom Tode los.

17Des Armen Kind lag an meiner Brust,
18Und trank die süße heimliche Lust,
19Des Juden verachtete Tochter umschlang
20Mein Arm, und ich küßte sie heiß und lang.

21Zu meinen Füßen die Sünderin
22Lag weinend und warf ihre Schätze hin —
23So schlecht war Niemand, verworfen nicht,
24In tiefer Nacht sah ich himmlisches Licht.

25Und durch die Wetter sah ich es glüh’n,
26Rings sah ich die Himmel leuchtend erblüh’n,
27Und betend lag ich in göttlicher Ruh’
28Und stammelte selig: „Die Liebe bist du“!

29O du Nacht, der Seele finstere Nacht,
30Du endlos tiefe Schmerzensnacht, —
31Konrad von Marburg, dein finst’res Wort
32Scheuchte die Himmel, die Liebe mir fort.

33Bedeckt den Leib mit blutigem Thau,
34Das Haupt bestreut mit der Asche Grau,
35Lieg’ ich und weiß ich von Liebe nichts,
36Ich weiß, nur den Tag des jüngsten Gerichts.

37Ich weiß, die Sünde schläft und schlief
38Im blauen Kinderauge tief;
39Wo die Krankheit den Leib mit Narben schlug,
40Ich weiß, es ist der Sünde Fluch.

41Ich weiß, die Sünde faßte uns an,
42Wo der goldne Wein im Becher rann,
43Der Hölle Nebel die Sinne umfloß,
44Wo der Mann das Weib in Liebe umschloß.

45Ich weiß nur, wie elend das Dasein ist,
46Das Glück, die Lust eine höllische List,
47Ach, Sünde ist ein holdes Gesicht,
48Der Lerchen Sang und der Sonnen Licht.

49Durch die Nacht, durch die Nacht ich höre den Tritt,
50Wie die Nacht so finster des Finsteren Schritt, — —
51O Geißel — o Buße — o Höllenglut!
52Sühnt auch diese Gedanken mein tropfendes Blut?

(Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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