Christian Hofmann von Hofmannswaldau: Von dem elende des menschlichen lebens (1709)

1Armseeliges gelücke!
2Das auf der welt des menschen hertze trifft!
3Der donner unterbricht die schönsten sonnen-blicke:
4Und was man zucker nennt, ist offt das ärgste gifft:
5Die sterne werden uns zu feurigen cometen,
6Und die erfahrung zeigt: Daß auch wohl engel töden.

7Was sind die süssen rosen,
8Wenn sie der dorn vor unsern händen schützt?
9Der himmel pflegt uns zwar von ferne zu liebkosen;
10Kommt man ihm aber nah, so fühlt man, daß er blitzt.
11Es baut der selbst-betrug nur schlösser in die lüffte:
12Denn, eh’ man es bedenckt, so sind es todten-grüffte.

13Des lebens erster morgen
14Hebt sich bey uns mit bittren thränen an.
15Ein ausgekrochner wurm weiß vor sich selbst zu sorgen;
16Da der gebohrne mensch ihm gar nicht helffen kan:
17Er lernt mit fallen gehn, und wird, wenn falsche freunde
18Nicht seine hencker sind, ihm endlich selbst zum feinde.

19Man schwatzt wohl vom gelücke,
20Und schreibet uns viel weg und mittel für;
21Allein der meister selbst weicht von der bahn zurücke:
22Und die vergnügung kennt nur wörter und papier.
23Denn ob ihr schatten gleich die lippen eingenommen;
24So ist ihr wesen doch nicht in das hertze kommen.

25Die nelcken werden nesseln:
26Der perlen pracht verwandelt sich in sand:
27Die freyheit will uns selbst in enge bande fesseln:
28Nichts ist beständiger, als angst und unbestand.
29Die sonnen kommen uns geschwind aus dem gefichte;
30Die wolcken aber macht nicht bald ein stern zunichte.

31Des menschen gantzes wesen
32Ist durch und durch mit unruh angefüllt:
33Man kan das ungelück auf allen gliedern lesen,
34Weil nichts zugegen ist, was die begierden stillt.
35Denn wenn ihm fuß und hand schon alles vorgenommen:
36So hat das hertze doch noch keine ruh bekommen.

37Das auge mag fich sehnen,
38Und unser mund nach der vergnügung schreyn.
39Die sehn-sucht badet sich gemeiniglich in thränen,
40Und ein vergebnes wort bringt nichts als seufftzer ein.
41Die lippen werden zwar von langem klagen müde;
42Doch diese mattigkeit ist noch kein hertzens-friede.

43Die ängstlichen gedancken
44Verlassen uns auch in dem schlafe nicht.
45Der menschen ungelück ist ausser allen schrancken,
46Weil weder tag noch nacht sein wüten unterbricht.
47Die unruh, die uns plagt, ist allezeit daheime:
48Und quält das wachen nicht; so schrecken doch die träume.

49Kommt auch gleich eine stunde,
50Die uns den schatz erwünschter ruh verheißt;
51So dringt die lieblichkeit uns dennoch kaum zum munde,
52Wenn die verwöhnte brust schon wieder wermuth speist.
53Die hoffnung spielt mit uns, als wie mit einem kinde,
54Setzt marmeladen vor, und füllet uns mit winde.

55O himmel und verhängniß!
56Beschliest doch einst das lange trauerspiel!
57Macht allem ungelück ein schnelles leich-begängniß,
58Und gebt uns so viel ruh, als unser hertze will!
59Zerstört den labyrinth der langsamen beschwerden,
60Daß erd und hertzen uns zu paradiesen werden!

(Aus: Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024.)

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Dieses Gedicht könnte aus folgender Literaturepoche stammen:
Author

Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616-1679)

* 01/01/1616 in Breslau, † 04/18/1679 in Breslau

männlich

deutsch-schlesischer Lyriker und Epigrammatiker, Politiker und Diplomat

(Aus: Wikidata.org)

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